Mike Leigh seine Goldene Palme auf sicher: Jene für Secrets and Lies, die er 1996 gewonnen hat. Für den neuen Film wird er wohl keine zweite bekommen, dafür dürfte Another Year beim Publikum gut ankommen. Es ist ein klassischer Mike-Leigh-Film, eine Geschichte rund um ganz gewöhnliche Menschen, in der nichts aussergewöhnliches passiert. Tom und Gerri sind ein glücklich verheiratetes Paar um die Sechzig, die meisten ihrer Freunde und Verwandten sind einsam und alleine, und so dreht sich fast der ganze Film um die Besuche der Einsamen bei den Glücklichen, um deren Anteilnahme und ihr leises Bedauern. Entwickelt wurde der Film nach Leighs üblicher Methode, zusammen mit den Schauspielern auf Grund einer einfach skizzierten Ausgangslage, in Improvisationen über Wochen hinweg. Leigh hat es immer verstanden, die Emotionen zu schüren und zu steuern bei seinem Publikum, hin und wieder hat er sie auch leise manipuliert. Aber noch nie mit dieser Art von Sentimentalität, die er hier wirken lässt.
Es ist weniger die Ausgangslage, die an und für sich schon ans Herz geht (Einsamkeit und Älterwerden betrifft alle Studiokinogänger mehr und mehr…), als vielmehr ein paar inszenatorische Momente, die sich Leigh früher wohl verkniffen hätte. Da ist einmal der Umstand, dass der Film den vier Jahreszeiten folgt, und dazu zeigt Leigh immer wieder einmal den Schrebergarten seines Hauptpaares, mal im wallenden Morgennebel, dann wieder herbstlich oder winterlich. Aber vor allem ist da der musikalische Score von Gary Yershon, der zwischendurch mit Bläsern sehr dick aufträgt, so dick, dass der Kollege neben mir schon nach zehn Minuten Lust bekam, dem Komponisten etwas anzutun.
Dabei läuft der Film eigentlich in der gewohnten dichten Leigh-Manier, seine Schauspielerinnen und Schauspieler, viele davon immer wieder dabei, treffen jeden Ton und jede Nuance perfekt wie gewohnt, und die inszenierten Situationen sind selten wirklich überzeichnet – nur hin und wieder beinahe. Sei es, dass Leigh mit zunehmendem Alter sentimentaler wird – er geht doch auch auf die 70 zu – oder dass er der generellen Drama-Reduktion bei seinen Alltagsplots nicht mehr völlig traut: Another Year entlässt einem mit dem im Kino sonst harmlosen Gefühl, man sei emotional manipuliert worden. Von den meisten Filmen erwarten wir nichts anderes, ja wünschen es uns sogar. Aber von Mike Leigh sind wir gewohnt, dass er uns verdichtetes und konzentriertes Leben serviert, unerschrocken und direkt, ohne einfach Gefühle abzurufen, wie es andere tun. Das gelingt ihm zwar auch mit diesem Film, aber nicht ausschliesslich.