Cannes 10: DES HOMMES ET DES DIEUX von Xavier Beauvois

DES HOMMES ET DES DIEUX by Xavier BEAUVOIS

Manche Filme sind gemacht für die oekumenische Jury und für Cannes, und dieser Wettbewerbsbeitrag ganz besonders. Acht französische Mönche (verkörpert unter anderem von Lambert Wilson, links im Foto, und dem immer grossartigen Michael Lonsdale, siehe Foto am Ende des Textes) leben in den er Jahren friedlich in ihrem Atlas-Kloster in Nordafrika, in Freundschaft mit der muslimischen Dorfgemeinde. Mit den ersten islamistischen Anschlägen und Terroraktionen wird aber nicht nur der Glaube der Mönche arg geprüft, sie kommen auch moralisch in die Klemme. Die korrupte Regierung möchte das Kloster unter den Schutz der Armee stellen oder noch lieber die Mönche ausreisen sehen. Die Bevölkerung bittet darum, sie nicht im Stich zu lassen. Und die Terroristen wollen die Dienste des greisen Arztes im Kloster in Anspruch nehmen – was wiederum zu Drohungen der Armee führt.

Beauvois nimmt sich Zeit, die Geschichte aufzubauen, etabliert den Alltag der Mönche, spielt ihre Anfechtungen durch, ihre Zweifel, ihre Diskussionen. Dabei verzichtet er weitgehend auf Sentimentalitäten und vollständig auf Frömmeleien – alle Beteiligten sind sichtlich bemüht, eine realistische Situation zu zeichnen. Dabei sind vor allem die Diskussionen unter den acht Mönchen interessant, ihr Abwägen, warum es zu bleiben gilt, warum eine Rückkehr nach Frankreich keine Option ist, ob es sinnvoll sei, sich mehr oder weniger aktiv zum Märtyrer zu machen, und falls ja, wozu denn genau?

Wenn es dem Film gelingt, das Leben und die Ängste dieser Männer nachvollziehbar zu machen, dann scheitert er letztlich doch dabei, den Ursprung ihres Glaubens so zu vermitteln, dass beim Publikum eine Sehnsucht danach aufkommen würde. Es gibt Momente, in denen das Kino emotional mit den Männern eins wird, vor allem bei einer Szene am Esstisch gegen Ende des Films, die als säkularisiertes letztes Abendmahl inszeniert ist, mit Wein, Musik und Tränen auf den Gesichtern. Aber da spielen eher die Mechanismen, die wir aus anderen Filmen kennen, das Zusammengehörigkeitsgefühl angesichts der drohenden Gefahr, die Melancholie angesichts des bevorstehenden Todes.

Mit 120 Minuten ist der Film lang; das ritualisierte Leben der Mönche, der strukturierte Tagesablauf lässt sich so gut vermitteln, aber die vielen Szenen mit Gesang und Gebet in der Kirche ziehen sich dann doch. Immerhin bereiten sie auch die Stimmung vor für eine wirklich bedrohliche Sequenz, in der ein Armeehelikopter minutenlang über dem Kloster in der Schwebe bleibt, während die Mönche in der Kirche Schulter an Schulter stehen und immer lauter singen.

Des hommes et des dieux ist ein rechtschaffener Film über rechtschaffene Menschen, mit einem politisch hoch anständigen Aufruf am Ende, Islam und Islamismus nicht in den gleichen Topf zu werfen. Beauvois ist sichtlich bemüht, keine Feindbilder aufkommen zu lassen und das gelingt bis hin zu einer Szene, in der Lambert Wilson als Prior die Leiche eines Terroristenanführers identifizieren muss, und den Offizier der Armee in Wut bringt damit, dass er über dem zerschundenen Körper des Toten zu beten beginnt. Der Offizier braucht seinen Hass für seine Arbeit – der Mönch braucht die Liebe und das Mitgefühl.

Aber letztlich fehlt dem Film jene Form des Zweifels, der Befangenheit, die er seinen Figuren fast mechanisch zugesteht. Insofern folgen die 120 Minuten dem Prinzip des Katechismus: Rhetorische Fragen stellen und die Antworten auch gleich mitliefern.

DES HOMMES ET DES DIEUX Michael Lonsdale

8 Antworten auf „Cannes 10: DES HOMMES ET DES DIEUX von Xavier Beauvois“

  1. Habe wohlverstanden selbst den Film noch nicht gesehen. In Paris aber spricht man seit Wochen in höchsten Tönen über Beauvois` Film . Angelsächsische und französische Kritiken aus Cannes sind in ihren Urteilen durchwegs – auch in klar laizistisch positionierten Blättern – wesentlich positiver als Michael Sennhausers Kommentar bei DRS. Grossenteils sind sie sogar enthusiastisch. Eine diskrete Häme im Text Sennhausers und die abschliessende Floskel bezüglich Katechismus mit Frage und Antwortspiel, wirft die Frage auf, ob hier nicht wieder einmal die Cathophobie einer gewissen deutsch-schweizerischen Journaille mental Pate gestanden ist?

  2. PS :“ Le Monde“ beurteilt abschliessend den Film als „en tous points admirable“ . Haben die einen andern Streifen gesehen?

  3. @ Herrn Gottstein: Natürlich haben die Kollegen von Le Monde einen anderen Film gesehen (das Wort „Streifen“ finde ich abscheulich). es liegt in der Natur der Sache, dass jeder Betrachter bei anspruchsvollen Kunstwerken ein anderes Erlebnis hat. Genau so wie es in der Natur des Produktes liegt, wenn ein Hollywood-Film darauf abzielt, ein uniformes Erlebnis zu erzielen.

    Was „die Cathophobie einer gewissen deutsch-schweizerischen Journaille“ angeht: Ich bin kathollisch aufgewachsen, war Ministrant und habe Mitte 20 meinen Austritt aus der offiziellen katholischen Kirche gegeben. Insofern bin und war ich stets bemüht, NICHT in den berüchtigten Tonfall der verletzten Abtrünnigen zu verfallen. Was mir an dem Film nicht gefällt, bei all seinen Qualitäten, hat aber möglicherweise durchaus mit dieser Disposition zu tun. Genau so wie ihr Verlangen, einem Film zu Hilfe zu eilen, bevor Sie ihn gesehen haben, mit der Ihren. Wäre es nicht jämmerlich, wenn es nicht so wäre? Wäre es Ihnen lieber, nur völlig positive Reaktionen zu dem Film zu lesen? Und falls ja: Warum denn?

  4. Lieber Herr Sennhauser,

    ich kann Ihren Standpunkt nachvollziehen. Er ist meinerseits voll akzeptiert. Ein Kritiker darf nach „Haaren in der Suppe“ suchen, soll er sogar ! auch soll er eine persönliche Meinung haben. Vielleicht habe ich in ihrem Falle etwas über-reagiert, da mich derzeit die vom nördlichen Nachbarland aus inszenierte Cathophobie recht nervt; dies wiewohl ich nie Ministrant war und aus einem höchst laizistischen Milieu komme. Die antiklerikale Obsession in manchen Medien – hierzulande repräsentiert durch die TA/Coninx Presse und deren Ableger, die ja meist nur kolportieren, was tags davor in der Münchner „Süddeutschen“ stand – lässt immer häufiger jeden Sinn für Objektivität und guten Geschmack vermissen und entwertet damit begründete, ernstzunehmende Kritik. Mit guten Wünschen und freundlichem Gruss J.P.G.

  5. Was mich verblüfft: Der Rezensent lässt völlig unerwähnt, dass es sich bei der Vorlage zu dem Drehbuch um eine durch zahlreiche Bücher und Dokumentarfilme minutiös dokumentierte große Tragödie nicht nur des Trappistenordens, sondern auch der französisch-algerischen Beziehungen handelt. Die Mönche von Thibérine lebten mit einer dreifachen Belastung in Algerien: als Christen in einer ihnen zum Teil feindlich gesonnenen muslimischen Gesellschaft, als Nachfolger früherer Trappistengründungen in Algerien, die als nicht positiv empfundene Begleiterscheinung des Kolonialismus entstanden waren, und als Vertreter der ehemaligen Kolonialmacht. Der Mord an den Mönchen von Thibérine hat seinerzeit auch völlig außerhalb interreligiöser Fragestellungen und des katholischen Milieus zu großer Empörung in den intellektuellen Kreisen Frankreichs geführt, und die Geschichte dieser Männer ist seitdem im Gedächtnis vieler Menschen präsent geblieben. Für mich sind sie seit vielen Jahren bewundernswerte Zeugen der Humanität. Ich freue mich darüber, dass das französische Publikum nun jenseits von „Cathophobie“ und „antiklerikaler Obsession“ (my goodness!)diesen Menschen und ihren Werten Reverenz erweisen.

  6. Liebe Leser dieses Filmblogs,

    Es gibt nicht so oft Filme, die wirklich so gut sind wie „Les Hommes et Des Dieux“ und darum finde ich es schade, dass der Film nicht mehr gewürdigt wird.

    Ich empfehle die Rezesion im Tagesanzeiger zu lesen, aus der m.E. sehr gut hervorgeht,was der Kern des Filmes ist, ich zitiere:

    „Sie wussten es selbst, und das ist der dramatische Kern von Beauvois’ Film: Er folgt in einer wahrscheinlichen Fiktion den Mönchen von Tibhirine auf dem Weg zu ihrer Entscheidung für ihr richtiges und gegen ihr besseres Wissen. (…)Er respektiert ihre individuellen Argumente, die alle schliesslich auf das eine hinausliefen: auf die komplexe Konsequenz und heilige Einfalt eines frommen Denkens, das die Glaubensaufgaben nicht an die Vorsicht verraten konnte. Und so ist «Des hommes et des dieux» eine sehr menschliche Tragödie geworden. Sie handelt von der faktischen Kraft des Normativen, das in Notre Dame de l’Atlas eben einfach Gott hiess, und sein Wirken haben 1996 dann nur zwei Mönche überlebt.“

    http://www.tagesanzeiger.ch/kultur/kino/Ploetzlich-bricht-der-Krieg-die-Klostertuer-auf-/story/19601586

    Und wünsche, dass möglichst viele den Film schauen, der Film hat es verdient.

    Mit freundlichen Grüssen

    Tom van der Lubbe

  7. Liebe Leser,
    gestern habe ich mir „Les hommes et les dieux“ angesehen. Mich hat besonders die Beobachtung berührt wie eine Gemeinschaft „handeln kann“. Christian, der Leitmönch der schnell entschieden hatte zu bleiben, ein paar Mönche die ihm vertrauten, die ängstlichen, unsicheren Mönche die lieber geflüchtet wären.
    Sie alle sind sich doch einig geworden mit und mit den Weg einzuschlagen der ihrer Wahrheit entspricht. Es geht weniger um das tragische Ende als um die Entscheidung integer zu bleiben. Die Frage stellt sich immer warum wir etwas tun oder auch nicht. Würden wir Menschen immer unsere innere Haltung prüfen bevor wir zur Tat übergehen wäre ein großer Schritt in der Entwicklung der Menschenheit getan.
    Ein sehenswerter Film!
    Es grüßt
    Ursula Wiesemes

  8. in der 1. adventskonferenz haben die mönche in kloster disentis den film angeschaut. zur 2. konferenz (heute abend!) wurde ein „florilegium zum film“ erstellt. darin auch den satz von blaise pascale: http://bkd.posterous.com/das-kephalophoren-wunder-pater-theo-osb-bkd

    meine skepsis (ablehnung?) zum thema film kennst du da ;-)aber so schön wie es die junge björk 1988 am beispiel tv erzählt, konnte ich es noch nie: http://bkd.posterous.com/httpbjorkcom-1988-uber-die-gefahr-des-fernseh ;-)

    grz aus dem kloster!

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