Psychopathen lassen sich nicht erklären, auch wenn – nicht nur im Kino – die Schuld am leichtesten den Müttern zugeschoben werden kann. Das tut auch Michael Winterbottom, wenn er in kurzen Flashbacks die masochistischen Neigungen der Mutter des von Casey Affleck gespielten Killers aufblitzen lässt. Und darin liegt das misogyne Potential, das dem Film zu Recht und seinem Regisseur zu Unrecht angelastet wird. Wenn der junge Mann die beiden Frauen, die ihn lieben, systematisch tot schlägt, schlägt da eine Prägung durch, so ist er halt geworden, der Kleine.
Michael Winterbottom interessiert sich nicht für bewährte Formeln, und in der Wahl seiner Stoffe ist er so eklektisch wie unvorhersehbar. Damit war zu erwarten, dass auch sein Zugriff auf das Roman-Universum von Jim Thompson nicht einfach den eingespielten hard nosed way einschlagen würde. Und so steht denn auch eher der generelle Vertrauensbruch im Zentrum der Geschichte, nicht die frauenfeindliche Grundeinstellung der Hauptfigur.
Seit seiner Premiere an der letzten Berlinale wird dieser Film ähnlich erbittert diskutiert wie letztes Jahr Lars von Triers Antichrist. Die Debatte ging naturgemäss erst im deutschen Feuilleton los, und entzündete sich dann anlässlich des britischen Filmstarts auch in England. Dabei reden fast alle aneinander und am Film vorbei, selbst der Regisseur, wenn er das alte Argument vorbringt, er habe scheussliche Gewalt eben als scheusslich Gewalt zeigen wollen, unbeschönigt. Die eigentliche Frage müsste ja lauten: Wozu? Wenn Kritiker sich bei Filmen mit einem gewissen künstlerischen Anspruch über die Gewalttdarstellung ärgern, die beim Genrekino grundsätzlich als gegeben hingenommen wird, gehen sie grundsätzlich davon aus, dass in einem anspruchsvollen Film Gewalt nicht Selbstzweck sein darf, nicht unterhaltsam, und schon gar nicht erotisiert oder sonstwie attraktiv gemacht. Während bei Pulp, Sex and Crime, Giallo, und überhaupt dem sogenannten Exploitation-Cinema eben Ausbeutung betrieben wird, die Ausbeutung niederer Instinkte, unkultivierter Eintrittspreiszahler, Objektfetischierung etc.
Die Diskussion entzündet sich denn auch immer dort, wo das ’seriöse‘ Feuilleton Kunstanspruch wittert oder angekündigt sieht, bei Lars von Trier, bei Catherine Breillat. Eigentlich hat es bisher nur Quentin Tarantino geschafft, die genregerechten Gesetzmässigkeiten überrissener (was ist das?) Gewaltdarstellung in seinen Filmen als gegeben zu präsentieren.
Gewalt im Kino ist unterhaltsam, Zauberei im Kino ist unterhaltsam, Katastrophen im Kino sind unterhaltsam, selbst Kriege sind im Kino unterhaltsam. Mit der Wirklichkeit hat das nur insofern zu tun, als dass sie aus der Gleichung eben ausgesperrt wird im Normalfall. Und genau darum sind diese gehobenen Diskussionen dermassen unfruchtbar (nicht zuverwechseln mit sinnlos). Wer Gewalt zu Unterhaltungszwecken grundsätzlich ablehnt, nimmt grundsätzlich eine ehrenvolle Position ein – und verzichtet zugleich darauf, die interessanteren Fragen zu stellen, nämlich jene nach den Gründen für die Anziehungskraft der Gewaltdarstellung. Nun muss wirklich nicht der Vegetarier erklären, was Fleisch zu einem Genuss machen kann, er dürfte aber auch Mühe haben, das überhaupt zu verstehen. Hier kommen moralische Kategorien ins Spiel und die sind häufig der Tod jeder Diskussion.
Bei Winterbottoms The Killer Inside Me rechtfertig der Film allerdings die Diskussionen nur bedingt. Er ist konsequent gemacht, selbst die widerliche Szene, in der Lou seiner Geliebten das Gesicht zerschlägt, zielt vor allem darauf ab, den ungläubigen Ausdruck in eben diesem Gesicht so dramatisch wie möglich zu halten, das Gefälle von Liebe und Vertrauen zum Verrat zu maximieren. Dass ich dabei wegschauen muss, weil ich es nicht mehr aushalte, mag zeigen, dass Winterbottom sein Ziel erreicht hat, die Gewalt nicht zu beschönigen. Dass er sie dennoch braucht, zeugt vielleicht aber auch davon, dass ihm als Künstler subtilere, eben so wirkungsvolle Mittel nicht zur Verfügung stehen. The Killer Inside Me ist ein passabler Versuch, den Roman von Thompson umzusetzen in einem völlig anders gearteten Medium. Ein wirklich guter Film ist das nicht.
Am klarsten und einleuchtendsten scheint mir das Fazit im Kommentar der Schauspielerin Romola Garai dazu, den der Guardian veröffentlich hat:
This whole debate is, of course, deeply self-indulgent, as most people won’t see The Killer Inside Me or Antichrist. But for those that do, I don’t think we watch films to agree with them but to engage with them. I don’t think we shouldn’t make films like these and I don’t think we shouldn’t see them. Rather, I think we should respond to them, with films of our own, tell our stories, tell the story of the female prostitute living on the outskirts of a small town in 50s America from a female perspective and create a critical climate where these films are respected. Meanwhile, as an actress, the best I can do is stick to my guns and try to represent women as I see them and do films that allow me that dignity.
Die Schweizer Verleihrechte liegen bei Frenetic Films in Zürich. Ein Schweizer Start ist erst für die Romandie fixiert auf den 1. September 2010.
Die Psychologisierung ist ein Problem beim Film und vor allem bei einem so unsubtilen Regisseur wie Michael Winterbottom. Er bleibt dabei aber treu am Buch, genauso wie Lou Ford nicht seine Mutter schlägt, sondern seine Haushälterin. Das wird vielleicht nicht ganz klar im Film, schliesslich aber hat Ford auch eine Freud-Ausgabe im Büchergestell – neben der Bibel.
Ich musste heue auch wegschauen. Damit aber hat Winterbottom nicht nur erreicht, was sein Anspruch mit dem Film ist, sondern darüber hinaus zeigt er drastisch die furchtbaren Auswirkungen von Gewalt, während er gleichzeitig postmodern und ironisch mit den Stilmitteln des Film noir spielt. Tarantino hat immer nur den postmodernen Schritt gemacht.
Die Diskussion über Gewalt gegen Frauen in «The Killer Inside Me» geht am Thema vorbei. Meiner Meinung nach führen uns Buch wie Verfilmung auf eine ausgesprochen finstere Reise in das Unterbewusste Amerikas. Die interessantere Frage wäre wirklich die nach den Gründen der Anziehungskraft von Gewalt – zum Beispiel jener kollektiven Gewalt, die man Geschichte und Erinnerungen antut, um alles Finstere zu verdrängen.
Thompson und die starke Verfilmung seines Buches holen es wieder herauf. Schön ist es nicht, aber im Buch schreibt Thompson: «There are things that have to be forgotten if you want to go on living.»
Bei nahaufnahmen.ch gibt es neben anderen Texten zum letzten NIFFF zwei weitere, sehr lesenswerte Meinungen zu Winterbottom, von Lukas Hunziker und von Christof Zurschmitten.