Paul Riniker, der langjährige Stardokumentarist des Schweizer Fernsehens als Spielfilmregisseur auf der Piazza Grande? Durchaus eine Feuerprobe für den erfolgsgewohnten Menschenbeobachter. Aber Rinikers Talent dafür, Menschen vor der Kamera ihre natürliche Scheu zu nehmen, sie zu überzeugenden Darstellern ihrer selbst zu machen, entfaltet seine Wirkung tatsächlich auch im Spielfilm. Roeland Wiesnekker und Sabine Timoteo sind grossartig in den Hauptrollen, die meisten anderen Darsteller stark und präzise. Dabei beginnt der Film mit einer gemächlichen Exposition, die an den Stil der Deutschschweizer Fernsehfilme erinnert – fast eine Drohung, unter diesen Umständen.
Aber je näher die Auslegeordnung dem Kern der Geschichte kommt, desto packender wird der Film. Wiesnekkers Figur Res kommt aus dem Knast und findet eine Stelle als Zeltplatzwart bei einer alten Freundin. Timoteos Greta ist 33 Jahre alt, aber von sehr kindlichem Gemüt, direkt, impulsiv und naiv wie eine Sechsjährige. Sie wohnt bei ihren Eltern, behütet, beschützt und unterfordert. Die Annäherung der beiden verläuft zum Glück für den Film alles andere als leicht, sowohl Wiesnekker wie auch Timoteo bringen Charme und Struppigkeit unter Rinikers Regie ganz langsam zum Blühen – bis zum dramatischen Höhepunkt, der zwar absehbar ist, aber gerade darum um so stärker wirkt. Denn die Überraschungen dieses Films liegen nicht in seiner sauber entwickelten Geschichte, sondern auf den Gesichtern der beiden Hauptdarsteller. Timoteos Greta ist rührend, komisch, gefährlich und unvorhersehbar. Wiesnekkers Res ein leidender Rumpel mit Ausbrüchen.
Paul Rinikers Talent zeigt sich denn auch vor allem in den intimsten und heikelsten Momenten des Films, in jenen Szenen, in denen nicht nur die Figuren, sondern auch ihre Darsteller am stärksten gefährdet und schutzlos sind. Was in anderen Filmen – insbesondere am Fernsehen – nur angedeutet wird, oder kurze heikle Dialoge, bei denen sich ängstlichere Regisseure damit retten, sie auf grössere Entfernung und womöglich gar ausser Hörweite zu filmen, kommt bei Riniker ohne Umschweife auf den Punkt. Man könnte sagen, dass dort, wo nicht ohnehin die direkte Greta ohne Scheu auf den Elefanten im Raum zeigt, die Regie diese Aufgabe übernimmt. Das führt zu einer schönen Spannung im Film, die über das gewohnte sichere Mass hinaus geht.
Im Prinzip ist Sommervögel (der Schweizer Ausdruck für Schmetterlinge) aufgebaut wie ein kleines, gefälliges Melodram. Anfang und Ende halten sich brav an die Konventionen der Fernsehunterhaltung. Aber dazwischen spannt sich ein sehr schöner Bogen von intimem, präzisem, furchtlosem Kino. Riniker dosiert und kanalisiert das Talent von Wiesnekker und Timoteo präzise und kontrolliert. Die schönste Überraschung dieses Films ist denn auch das stimmige Gespür für mimische Komik bei Sabine Timoteo, die in ihrer Karriere allzu oft in knallharten Opferrollen zu sehen war. Hier ist sie der Sommervogel des Films und sein schöner Abgrund zugleich.
(In die Deutschschweizer Kinos kommt Sommervögel am 21. 28. Oktober 2010. Mehr Information gibt es auf der offiziellen Website)
Faszinierendes Kino …. für mich vom Allerbesten
Was Riniker anfasst ist immer gut. Aber Sommervögel war etwas vom besten, was ich in letzter Zeit gesehen habe. Die Leistung sowohl der „Greta“ wie auch von „Res“ war ganz einfach fesselnd. Danke!