SENNENTUNTSCHI von Michael Steiner

Sennentuntschi Poster Schweiz

„En Mönch, wo grennt isch wianas Wiib?“ die anderen Zecher in der Dorfkneipe haben so ihre Zweifel an der Schilderung. Aber unheimlich ist es schon, wenn sich der Küster im Kirchturm erhängt, und plötzlich eine stumme, wilde, halbnackte Schönheit ins Dorf stolpert – ausgerechnet an der Beerdigung des suizidierten Kirchendieners. Michael Steiners Sennentuntschi ist da. Und es hat sich nicht gewaschen. Die Französin Roxane Mesquida sagt während des ganzen Films kein Wort, dafür schleudert sie Blicke, und sie hat einen ergänzenden Gegenpart im stummen Albert (Joel Basman), dem illegitimen Sohn des Senns Erwin (Andrea Zogg). Sennentuntschi, der Film mit der langen Leidensgeschichte, ist endlich fertig. Und er unterläuft die ins unermessliche gesteigerten Erwartungen äusserst clever.

Carlos Leal in Michael Steiners 'Sennentuntschi' © Pascal Walder
Carlos Leal in Michael Steiners ‚Sennentuntschi‘ © Pascal Walder

Michael Steiner und sein Drehbuchautor Michael Sauter haben die Sage von der mörderisch belebten Alpensexpuppe aus Besen, Stroh und Lumpen mit einem giftigen Dreh aktualisiert. Die Geschichte ist eingebettet in eine aktuelle Rahmenhandlung, spielt aber 1975 – und sie spielt mit einem Schrecken, den man damals noch gar nicht kannte: Mit den Keller-Kindern wie Natascha Kampusch oder dem Fall Fritzl. Das ist nicht zuletzt darum pikant, weil der Film eine Koproduktion ist mit der Österreicher Superfilm. Die Schweizer steuern die Alpensage bei, die Österreicher den aktuellen Schrecken.

v.l. Nicholas Ofczarek, Michael Sauter, Andrea Zogg, Joel Basman, Carlos Leal an der Pressekonferenz in Zürich ©sennhauser
v.l. Nicholas Ofczarek, Michael Sauter, Andrea Zogg, Joel Basman, Carlos Leal an der Pressekonferenz in Zürich ©sennhauser

Das Ganze hat das Team um Michael Steiner in einen smarten Zeitversatz gepackt. Spielt die Rahmenhandlung fernsehkrimimässig in der aufgeklärten und aufklärenden Gegenwart (mit Stephanie Berger als Polizistin vor Ort), blendet dann die Erzählung einer Mutter zurück in die bündnerisch-ländliche Post-Hippie-Zeit von 1975, als schon einmal ein Dorfpolizist (Nicholas Ofczarek,) nicht an Geister glauben wollte. Und da wird das Spiel mit der erzählten Zeit dann spannend, denn die Stränge laufen bald parallel, bald eng geführt und schliesslich konvergenter als derzeit noch Radio und Fernsehen in der Deutschen Schweiz. Das macht Spass und Stimmung, der Fluch und der Zauber des Dämons Sennentuntschi werden nie unterlaufen oder aufgehoben, auch wenn der rationale Blick auf das Geschehen immer wieder eine Umdeutung erzwingt.

Michael Sauter, Andrea Zogg, Joel Basman, Carlos Leal, Roxane Mesquida, Michael Steiner, Bernhard Burgener ©sennhauser
Michael Sauter, Andrea Zogg, Joel Basman, Carlos Leal, Roxane Mesquida, Michael Steiner, Bernhard Burgener ©sennhauser

Steiner spielt nicht nur mit allen Elementen des Genrekinos und mit der grossen Palette der abrufbaren Sequenzen, vom mörderischen Dorfmob aus Frankenstein bis zum legendären Zombie, den die Werbung einst ans Glockenseil gehängt haben wollte, sondern auch mit den üblichen schuldverstrickten Figuren, die aus ihrer Familienvergangenheit heraus mit wenigen Strichen erkennbar und erfühlbar gemacht werden.

Poster Zombie Glockenseil

Sennentuntschi ist damit gleichzeitig grosses Schlock-Kino und ein echtes Schweizer Kunst-Werk – und das durchaus auch willentlich und deklariert. Die zentrale Sequenz, in der sich die Strohpuppe in eine reale Frau verwandelt, ist ein Stück experimentelle Videokunst, die Steiner nicht selber gebaut, sondern von einem ambitionierten Freund hat machen lassen. Dabei hat er auch bewusst in Kauf genommen, dass sich das Publikum für einen Moment aus seinem wohlig-grusligen Stimmungs-Stupor aufwecken lässt und ein paar Sekunden das Augenmerk zwangsläufig auf Machart und Technik richtet – ein veritabler entre-acte als Höhepunkt.

Flennen unter Sennen: Carlos Leal und Andrea Zogg © Pascal Walder
Flennen unter Sennen: Carlos Leal und Andrea Zogg © Pascal Walder

Dafür, dass Michael Steiner einen im grossen Gestus sehr unschweizerisch spektakulären Film gemacht hat, reiht sich Sennentuntschi erstaunlich gut ein in die Serie der versuchten und teilweise auch geglückten Vorgänger. Da hat seinerzeit Markus Fischer mit Brandnacht 1993 auch schon Ueli Jaeggi (dort als Sektenpriester Amos, hier als schuldbeladener Dorfpfarrer) und Andrea Zogg (grob und gfürchig in beiden) im Emmental unschweizerisch grauslich zur Sache gehen lassen. Daniel Schmid hat mit Violanta oder Jenatsch das Fantastische (in) der Schweiz gesucht – und selbst der kühle Dramatiker Markus Imhoof hat mit Der Berg 1990 das huit-clos Drama in der Alphütte durchexerziert. Was Steiners Film von seinen Vorgängern unterscheidet, ist die Souveränität der Inszenierung und der Bilder. Das ist ein Film, der nicht, wie so oft in der Schweiz, einen Eindruck davon vermittelt, was dem Filmemacher vorgeschwebt haben mag. Sennentuntschi ist der Film, den Steiner machen wollte. Oder, sollte er es eventuell doch nicht ganz sein, lässt er (der Film) sich auf jeden Fall nichts davon anmerken. Und Pascal Walders Kamera ist schlicht Weltklasse.

Roxane Mesquida ist das Sennentuntschi © Pascal Walder
Roxane Mesquida ist das ‚Sennentuntschi‘ © Pascal Walder

8 Antworten auf „SENNENTUNTSCHI von Michael Steiner“

  1. Uff! Was für eine Überraschung da all die Kassandra-Rufer erleben dürften, die Steiner mit Gerüchten ins Elend treiben wollten. Ich freue mich, dass er sie souverän „überhört“ hat; noch mehr freue ich mich nach dieser Rezension auf den Film!

  2. Und was machen wir jetzt damit? Christoph Blocher gefällt „Sennentuntschi“. Laut dem ausgewiesenen Kenner der Schweizer Sagen-, Mythen- und Legendenwelt – „Das ist nicht gruselig. Es ist eine Sage aus der Schweiz.“ – beschreibe Steiners Film „treffend die menschlichen Niederungen“. Da kennt er sich ja bestens aus. Selten so gelacht. Fehlt bloss noch, dass sich der andere SVP-Christoph als Lucio-Fulci-Fan outet. Dann muss ich endgültig das Genre wechseln.

  3. Gegenteilige (ernstzunehmende) Kommentare gibt es auch: NZZ oder Journal21.
    -Für outnow.ch ch „Popcornkino im besten Sinne“ (die einzige Referenz, die sie kennen): solches aber wurde an einschlägiger Stelle damals meines Wissens nicht ausgegeben.
    Die Zombie-Expolitation vor 30 Jahren fiel in eine bewegte Zeit – ich weiss auch nicht, ob Steiner ein Katholik ist, aber den Furor der Italiener traue ich ihm nicht zu, eher will er doch offenbar Peter Pan sein.

  4. Top Film. Ich bin Fan. Ich denke, viele andere auch. Super..weiter so Michael!…Geht unter die Haut :-)

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