Cannes 11: HABEMUS PAPAM von Nanni Moretti

'Habemus papam' Nanni Moretti, Michel Piccoli ©frenetic
'Habemus papam' Nanni Moretti, Michel Piccoli ©frenetic

Kardinal Ratzinger wurde Papst, weil er es wollte, und weil er jahrelang darauf hin gearbeitet hat. So stellen wir uns gemeinhin das Konklave vor, und so schildern uns zahlreiche Romane und Filme den Vatikan: Als Hauptquartier eines weltweit operierenden Konzerns, mit all den üblichen Machtkämpfen und Intrigen. Nanni Moretti nimmt die Papstwahl ernst, und damit erzielt er etliche sehr schöne komische Effekte. In seinem Konklave sehen wir die Kardinäle bei der Wahl des Papstnachfolgers nervös und innerlich betend: Nicht mich, mein Gott, bitte nicht mich. Aber Gott ist mit allen, ausser mit Kardinal Melville, alias Michel Piccoli. Und damit ist der Film, seinem dünnen Grundeinfall zum Trotz, gerettet. Denn Melville will nicht, er erleidet einen nervösen Zusammenbruch, bevor er vom Balkon aus die Menge auf dem Petersplatz begrüssen soll. Und wieder einmal wird klar: Michel Piccoli ist grossartig. Nicht ganz so grossartig ist Nanni Moretti selber. Er spielt den Psychiater, der bei gezogen wird, um den neuen Papst von seiner Versagensangst zu heilen.

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Filmpodcast Nr. 233: Cannes, Mit dem Bauch durch die Wand, Ettore Scola

Anka Schmid mit ihren Studenten in China ©AS via fb
Anka Schmid mit ihren Studenten in China ©AS via fb

Kino im Kopf – mit Brigitte Häring. Heute mit viel Kino unter Palmen – Michael Sennhauser ist in Cannes und berichtet laufend von der Croisette. Anka Schmids Dokumentation Mit dem Bauch durch die Wand ist angelaufen – ich habe die Filmemacherin vorletzte Woche nach China begleitet. Und Andreas Kläui gratuliert dem italienischen Altmeister Ettore Scola zum 80. Geburtstag. Dazu gibt’s wie gewohnt unsere Kurztipps und eine Tonspur.

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Cannes 11: POLISSE von Maïwenn

Poliss (2)

Maïwenn Le Besco arbeitet, anders als ihre Schwester Isild, nur unter ihrem Vornamen – als Schauspielerin, aber auch als Filmemacherin. Für Poliss hat sie das ursprüngliche Script geschrieben, fasziniert vom Alltag einer Kinderschutzeinheit der Polizei, ging dann aber zum Produzenten Alain Attal damit und der holte Emmanuelle Bercot als Autorin dazu. Was wir nun heute (als dritten Film im Wettbewerb und als dritten Film von einer Frau) gesehen habe, ist ein hochpoliertes, rasantes Stück Realitätskino im Stil von Entre les murs von 2008, Dokufiktion der neueren Schule, mit geschliffen realistischen Dialogen, geschickter dramaturgischer Abfolge hochdramatischer und leise alltäglicher Szenen – und mit einem Stoff, der den ersten beiden Filmen in Sachen inhärentem Horror in nichts nachsteht. Pädophile, sexuelle Übergriffe, Junkie-Mütter, selbstherrliche Muslim-Väter, sie alle gehören zum Alltag dieser aus Frauen und Männern zusammengesetzten Einheit, die in ihre Aufgabe in erster Linie im Schutz der Kinder sieht.

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Cannes 11: WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN von Lynne Ramsay

Tilda Swinton und John C. Reilly in 'We need to talk about Kevin '
Tilda Swinton und John C. Reilly in ‚We need to talk about Kevin ‚

Wie fühlt sich wohl die Mutter von Michael Myers? Wahrscheinlich kaum schlimmer als die hier von Tilda Swinton gespielte Eva, als ihr langsam klar wird, was für ein Satansbraten ihr Sohn Kevin wirklich ist.

Allerdings tritt Lynne Ramsay nie aus dem Dunstkreis des Realen hinaus mit dieser Geschichte. Stärker noch als vor vier Jahren George Ratliff mit Joshua sucht Ramsay den Horror von The Omen oder Rosemary’s Baby in der Realität – wo er letztlich ja auch herkommt. Das liesse sich kaum schlagender, oder doch eher: brüllender – zeigen, als in einer Szene, in der die verzweifelte Eva ihr dauerschreiendes Baby mit dem Kinderwagen in den Lärmkreis eines Presslufthammers schiebt, um für ein paar Sekunden mit sichtlicher Erleichterung zu Ruhe zu kommen.

Eva hält ihr Kind zunächst für autistisch, später vor allem für manipulativ und bösartig. Und Ramsays Film bleibt konsequent bei ihrer Perspektive, so dass ich als Zuschauer sehr schnell überzeugt bin davon, dass dieser Kevin ein Sohn aus der Hölle sein muss.

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Die Unverpassbaren, Woche 19

John Cameron Mitchell (Regie) mit Nicole Kidman 'Rabbit Hole' ©filmcoopi
John Cameron Mitchell (Regie) mit Nicole Kidman 'Rabbit Hole' ©filmcoopi
  1. Rabbit Hole von John Cameron Mitchell. Der bisher konventionellste Film des Regisseurs von Shortbus oder Hedwig and the Angry Inch ist deswegen nicht weniger beeindruckend. Sogar Nicole Kidman überzeugt als trauernde Mutter.
  2. Mit dem Bauch durch die Wand von Anka Schmid. Wenn Teenager Mütter werden, ändert sich die Welt. Anka Schmid war dabei – nicht bei der Geburt. Beim Ändern.
  3. Shekarchi – The Hunter von Rafi Pitts. Ein ungewöhnlicher, prophetischer Film aus dem Iran, strukturiert wie ein neorealistischer Western, getragen von Actionfilm-Genremotiven.
  4. Die Vaterlosen von Marie Kreutzer. Was bleibt den Kindern, wenn die Grossfamilie, die Hippie-Kommune zerbricht? Wie kommt man mit einer fragmentierten Familiengeschichte und späten Wahlverwandtschaften zurecht?
  5. Le nom des gens von Michel Leclerc. Sleeping with the enemy auf Französisch. Endlich wieder einmal eine linke Komödie aus Frankreich, charmant, sexy und hochpräzise.

Im Filmpodcast morgen mehr zu China, Anka Schmid, Mit dem Bauch durch die Wand, und natürlich zum Filmfestival in Cannes.

Cannes 11: SLEEPING BEAUTY von Julia Leigh

'Sleeping Beauty' ©Xenix
'Sleeping Beauty' ©Xenix

Der Erstlingsfilm der australischen Autorin wird kaum die goldene Palme gewinnen. Dazu ist er zu kühl, zu spröde, zu provozierend. Erzählt wird in klinisch sauber kadrierten und ausgeleuchteten Szenen aus dem Leben einer jungen Frau. Sie studiert zwar, offenbar Mathematik, aber sie ist vor allem damit beschäftigt, Geld zu verdienen. Als Putzfrau in einer Kneipe, als Kopiermädchen in einem Büro, als Gelegenheitscallgirl für spezielle Anlässe. Sie kümmert sich um einen gleichaltrigen Alkoholiker, der langsam dem Freitod entgegendriftet, lässt sich am Abend provozierend und kühl auf Sexabenteuer mit männlichen Barbesuchern ein und unterhält offenbar mit ihrem Einkommen auch noch eine alkoholkranke Mutter. Das sind die sichtbaren Eckwerte ihres Lebens. Ach, und sie wird noch aus der Wohngemeinschaft verdrängt, in der sie zu Beginn des Films haust.

Aber das sind alles eher Äusserlichkeiten, denn im Kern ist der Film nicht zuletzt eine Wiederaufnahme etlicher Motive aus Pasolinis Salõ.

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Cannes 11: MIDNIGHT IN PARIS von Woody Allen

Woody Allen am Set von 'Midnight in Paris' ©frenetic
Woody Allen am Set von 'Midnight in Paris' ©frenetic

Carla Bruni hat drei Auftritte von je etwa zwei Minuten als Fremdenführerin im Rodin-Museum. Aber das wussten wir ja. Was wir nicht wussten: Der neue Woody Allen ist ein alter Woody Allen. Der Film erhebt die Nostalgie zum Prinzip und macht sich zugleich in aller Ernsthaftigkeit darüber lustig. Der von Owen Wilson gespielte Hollywood-Drehbuchautor Gil Pender findet sich mit seiner Verlobten (Rachel McAdams) und deren Eltern in Paris für ein paar Tage – in der Stadt seiner Träume. Weil die anderen seine romantischen Vorstellungen nicht teilen, spaziert er bald einmal leicht angetrunken gegen Mitternacht alleine durch die Strassen und mit dem Glockenschlag taucht ein Oldtimer auf, der ihn mitten in die Zwanziger Jahre fährt. Bald festet Gil Nacht für Nacht mit den Fitzgeralds, Hemingway, Picasso und bekommt von Gertrude Stein sein Roman-Manuskript begutachtet.

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Cannes 2011: Julia Leigh und ihre Mentorin

Autorin und Erstlings-Regisseurin Julia Leigh

Ja, ich weiss, eröffnet wird mit Woody Allen und Carla Bruni und Midnight in Paris. Das ändert aber nichts daran, dass der erste Film, den wir im Wettbewerb zu sehen kriegen, Sleeping Beauty von Julia Leigh sein wird. Das ist das Regiedebut der australischen Autorin, und damit gleich im Wettbewerb von Cannes zu landen, das ist schon eine Sensation für sich. Als Autorin hat sie einen Namen, als Regisseurin eine formidable Patin: Die Neuseeländerin Jane Campion, die bisher einzige Frau, welche die Goldene Palme von Cannes gewonnen hat (für The Piano, 1993), hat die Verfilmung von Leighs eigenem Script begleitet. Und das geht bis ins Detail. Wenn man das obenstehende Portrait von Julia Leigh genau anschaut, fällt der eingravierte Name auf dem Viewfinder auf, den sie um den Hals trägt (Vergrösserung nach dem Sprung). Die 64. Ausgabe des Festivals von Cannes könnte das Fest der Frauen werden. Gleich vier sind im Wettbewerb vertreten. Da darf man auf vieles gespannt sein, auch auf die Sprüche an der Pressekonferenz von Lars von Trier, der mit seinem Meisterwerk Antichrist vor zwei Jahren massive Misogynie-Vorwürfe provoziert hatte. Jetzt ist er mit Melancholia auch wieder dabei.

Trennbalken Filmfestival Cannes 2011 „Cannes 2011: Julia Leigh und ihre Mentorin“ weiterlesen

Filmpodcast Nr. 232: Shekarchi – The Hunter, VOD, George Clooney, Die Vaterlosen.

'Die Vaterlosen' von Marie Kreutzer ©xenix filmdistribution
'Die Vaterlosen' von Marie Kreutzer ©xenix filmdistribution

Kino im Kopf. Heute mit Shekarchi – The Hunter, einem kurzen Gespräch zu Video on Demand und einem Geburtstagsgruss für George Clooney. Dazu ein ausführliches Gespräch mit der Österreicherin Marie Kreutzer zu ihrem Erstling Die Vaterlosen. Und Filmtipps sowie Tonspur haben wir natürlich auch wieder.

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Die Unverpassbaren, Woche 18

Raffi Pitts in seinem 'Shekarchi - The Hunter' ©trigon
Rafi Pitts in seinem 'Shekarchi - The Hunter' ©trigon

Erst diese fünf Filme sehen, dann alle anderen.

  1. Shekarchi – The Hunter von Rafi Pitts. Ein ungewöhnlicher, prophetischer Film aus dem Iran, strukturiert wie ein neorealistischer Western, getragen von Actionfilm-Genremotiven.
  2. Die Vaterlosen von Marie Kreutzer. Was bleibt den Kindern, wenn die Grossfamilie, die Hippie-Kommune zerbricht? Wie kommt man mit einer fragmentierten Familiengeschichte und späten Wahlverwandtschaften zurecht?
  3. Le nom des gens von Michel Leclerc. Sleeping with the enemy auf Französisch. Endlich wieder einmal eine linke Komödie aus Frankreich, charmant, sexy und hochpräzise.
  4. Marti, dupa craciun (Tuesday, after Christmas – Dienstag, nach Weihnachten) von Radu Muntean. Das aktuelle rumanäische Kino in seiner reinsten Form: Undogmatisch, moralinfrei, direkt. Was macht das klassische Dreieck Mann-Frau-Geliebte, wenn man ganz genau hinsieht?
  5. Incendies von Denis Villeneuve. Bruder und Schwester suchen im Auftrag der toten Mutter ihren Vater, den sie verstorben glaubten. Grausam konsequente aktuelle Geschichte nach altgriechischem Bauplan.

Im Filmpodcast morgen mehr zu Shekarchi und Die Vaterlosen, und zu VOD – Video on Demand.