Locarno 11: DIN DRAGOSTE CU CELE MAI BUNE INTENTII von Adrian Sitaru

Best Intentions 2

Wenn ich im letzten Blogbeitrag geschrieben habe, die meisten bisherigen Wettbewerbsbeiträge hätten ihre angepeilte Flughöhe noch nicht erreicht, dann stimmt das nur bedingt. Einer zumindest ist bereits über sein Ziel hinausgeschossen: Adrian Sitaru zeigt, dass auch das rumänische Filmwunder an gewissen Ecken und Enden schon zum mechanischen Muskelreflex zu verkommen droht. 2008 hat Sitaru mit Pescuit sportiv (Picnic)verblüfft und entzückt. Insbesondere seine virtuose Handhabung der subjektiven Kamera, die er von der einen Figur zur nächsten springen liess, sorgte für wache Blicke.

Nun hat Sitaru die Technik perfektioniert; er handhabt sie mit einer Virtuosität, die ihm so leicht keiner nach macht. Dafür aber vernachlässigt er die Abwechslung auf den restlichen Ebenen seines neuen Films.

Best Intentions ist der internationale Titel, und mit diesen besten Absichten nervt nicht nur Sitaru mich als Zuschauer, sondern auch seine Hauptfigur Alex seine ganze Umgebung.

 

Alex, Mitte Dreissig, scheint nicht der stabilste Mensch zu sein. zu beginn des Films macht er jedenfalls seiner Freundin in der Wohnung in Bukarest eine Szene, weil diese ein altes Paar Unterhosen entsorgt hat, das er als Andenken an seine Armeezeit aufbewahrte. Kaum ist die Freundin aus dem Haus erreicht ihn ein Anruf seines Vaters, der ihm mitteilt, die Mutter, eine Lehrerin, habe einen leichten Schlaganfall erlitten und sei im Spital. Alex lässt alles stehen und liegen und fährt in seine Heimatstadt, um seine Mutter aus dem dortigen Spital in ein anderes zu verlegen, in dem ein Freund von ihm Arzt ist.

Best Intentions 1

Eine Weile lang leuchtet einem das als Zuschauer noch ein, schliesslich ist es zumindest denkbar, dass nicht alle rumänischen Spitäler die gleichen medizinischen Standards aufweisen, es ist auch vorstellbar, dass Patienten mit persönlichen Beziehungen zu Ärzten bessere Behandlung bekommen. Aber nach einer Weile des Nörgelns und Nervens, wenn sogar die Mama im Spitalbett meint, ihr Sohn sei ein Schatz, aber er solle nicht alle rund herum verärgern, kommt man zum Schluss, dass der Mann wohl wirklich ein Nerver sein muss. Oder kommt das dicke Ende vielleicht zum Schluss?

Bogdan Dumitrache in Best Intentions
Bogdan Dumitrache in 'Best Intentions'

Wenn die meisten bisherigen rumänischen Filme Filme der letzten fünf Jahre vor dem Hintergrund des Wandels einer Gesellschaft spielten – oder gar noch in der Ceausescu-Diktatur, dann ist Best Intentions nun eher ein Beispiel für zeitgenössisches europäisches Kino. Das Thema der Wahlfreiheit (Ärzte, Spitäler, Pillen) und des schwindenden Vertrauens bei vergrössertem Angebot wirkt wie eine allgemeine Zivilisationssatire und geht vielleicht auch darum stärker an meine Zuschauernerven, als ich mir das wünschen würde.

Das ist durchaus eine reife Leistung, und das Schauspielerensemble stürzt sich mit Begeisterung in die Aufgabe. Dank der springenden subjektiven Kamera kann man sich auch nicht mit einer bestimmten Figur identifizieren oder sich hinter einer verstecken. Aber die Virtuosität befriedigt nicht, der Film geht einem auf die Nerven, ohne zu verstören. Seine Wirkung ist vergleichbar mit den Warnaufklebern auf Zigarettenpackungen: Er nervt, indem er aufzeigt, was man längst verstanden hat. Und auch dann nicht locker lässt, wenn man sich selber schon davon überzeugt hat, dass man selber nicht so sei.

Haben Sie das verstanden? Nicht? Also: Hier klicken.

Adrian Sitaru

 

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