Locarno 11: LOW LIFE von Nicolas Klotz und Elisabeth Perceval

Camille Rutherford und Luc Chessel in 'Low Life'
Camille Rutherford und Luc Chessel in ‚Low Life‘

Low Life ist ein französischer Konzeptfilm, der im pubertär-poetischen Chaos beginnt und sich zu einem Immigranten-Drama verdichtet, das unter die Haut geht. Im Kern steckt eine Dreiecksgeschichte zwischen der Studentin Carmen, ihrem Freund Charles und ihrer neuen grossen Liebe Hussain. Hussain ist ein afghanischer Dichter, der in Frankreich Literatur studiert. Sein Asylantrag wird abgelehnt und nach drei Jahren an der Uni muss er jetzt abtauchen.

Der Film beginnt in der studentischen Hausbesetzerszene, gedreht wurde in Lyon und in Tours, und schon das hebt sich wohltuend von den pariszentrierten französischen Filmen ab. Allerdings dauert es eine Weile, bis man die Figuren kennenlernt, zunächst ist das eine nächtliche Odyssee vom Flamencolokal bis zur Polizeirazzia, dominiert vom poetisch-lyrisch schwadronierenden Charles, Sohn eines reichen Vaters, auf dem Bohème-Trip.

Die Solidarität unter Studenten und Hausbesetzern wird langsam und chaotisch eingeführt, aber auch Konflikte und Verletzungen, der Kampf gegen die Polizei und die täglichen Probleme bekommen Raum. Eine ganze Weile glaubte ich mich übrigens in einer weiteren Carmen-Adaption, vor allem wegen der leidenschaftlichen Hauptfigur und ihren beiden Männern. Aber falls die Ahnlehnung intendiert sein sollte, führt sie jedenfalls nirgendwo hin. Das Low Life des Titels hat übrigens nichts mit seiner amerikanischen Bedeutung zu tun, sondern ist die Bezeichnung des Schlaf- und Traumzustandes in den sich die beiden Liebenden flüchten, als sie sich nicht mehr aus der Wohnung trauen, weil Hussain jederzeit verhaftet werden könnte.

Arash Naimian und Camille Rutherford in 'Low Life'
Arash Naimian und Camille Rutherford in ‚Low Life‘

Dafür wird man für die Geduld mit der poetisch-virtuos-dokumentarischen Exposition belohnt, mit einer immer dichter und beklemmender werdenden Zusammenführung der Stränge, bis hin zu jenem Moment, in dem Carmen ihre Liebe zum nun illegalen Hussain einer Polizeibeamtin gegenüber als Menschenrecht erklärt und ihre Weigerung, zu Ausschaffungskomplizin zu werden als berechtigten zivilen Ungehorsam. Dabei schreckt sie auch nicht davor zurück die Polizisten mit den Beamten das Vichy-Staates zu vergleichen, welche die Judendeportationen mitorganisiert hatten. In dem Moment ist der Film bei der Realität von Fernand Melgars Vol spécial angelangt und schmerzt damit ganz gewaltig.

Elisabeth Perceval und Nicolas Klotz
Elisabeth Perceval und Nicolas Klotz

Eine Antwort auf „Locarno 11: LOW LIFE von Nicolas Klotz und Elisabeth Perceval“

Kommentar verfassen