Locarno 11: THE LONELIEST PLANET von Julia Loktev

The Loneliest Planet 1

Ein Liebespaar, verlobt, unterwegs. Globetrotter, eingespielte Hardcore-Backpacker, auf einem mehrtägigen Bergtrip im Kaukasus, mit ihrem georgischen Bergführer. Feste Schritte im rutschigen Felshang, spielerisches Klettern im Geröll. Alex (Gael Garcia Bernal) übt mit seiner leuchtend rothaarigen Nica (Hani Furstenberg) spanische Verben, der Bergführer blödelt auf Georgisch mit ihnen. Alex und Nica sind nicht nur verliebt, sie sind ein eingespieltes Team.

Filme wie dieser, mit minimalem Personal in grosser Landschaft, die haben grundsätzlich eine Drohung mit eingebaut. Man wartet auf eine dramatische Wende, einen falschen Schritt, einen Steinschlag. Und der ungefilterte Direktton, die harten Schnitte, die manchmal abrupt mit der Szene geschnittene Musik tragen das ihre dazu bei.

 

Hani Furstenberg, Gael Garcia Bernal
Hani Furstenberg, Gael Garcia Bernal

Für jede Szene, welche ohne Unfall endet, ist man dankbar, für jedes Lachen, jeden Flirt der Liebenden. Wenn Dato, der Bergführer, sich einen Scherz erlaubt, die beiden auffordert, eine Pflanze zu essen und dann ungerührt sagt, in zwei Stunden würden sie sterben, dann sind nicht nur Alex und Nica unsicher, ob sie richtig gehört haben.

The Loneliest Planet 3

Natürlich haben sie richtig gehört, aber es ging dabei um ein Wortspiel. Und was sie probiert haben, war wilder Kümmel. Ein Wortspiel ist auch der Titel des Films. Er bezieht sich auf die populäre Reihe alternativer Reiseführer.

Aber der Film lässt sich nicht umsonst sehr viel Zeit. An den Nerven des Publikums zu ziehen mit nichtigen Momenten, scharfem Ton, kleinen, undramatischen Wendungen – das erzeugt die Energie, welche dafür sorgt, dass man dann später bei einem weiteren kleinen Zwischenfall schon gar nicht mehr sicher ist, ob man das nun richtig mitbekommen hat oder nicht.

Nicht nur der Titel bekommt von da an eine neue Bedeutung. Auch die Bewegungen, die Blicke, die ausbleibenden Worte: Alles ist wieder aufgeladen. Aber anders. The Loneliest Planet ist ein ausgesprochen raffinierter Film, ein kratzendes Abenteuer im Alltag, eine zerrende Metapher für jede (Liebes-)Beziehung, ein diszipliniertes Spiel mit der Offenheit, den Erwartungen und dem Unvermittelten. Ich sass hundertdreizehn Minuten wie auf Nadeln im Kino, und das war nicht etwa angenehm. Aber missen möchte ich dieses Erlebnis nicht. Auch darum nicht, weil der Film so unglaublich banal und gleichzeitig so unglaublich dramatisch ist wie das Leben, das uns den grössten Teil des Tages einfach entgleitet, ohne dass wir wüssten, wo die Stunden geblieben sind. Oder, wie Dato beim Anstossen mit Schnaps einmal sagt: „Life is good. But a good life is better“.

Auf den diesjährigen Wettbewerb von Locarno umgemünzt wäre das der erleichterte Stossseufzer: Film ist gut. Aber ein guter Film ist besser. Und The Loneliest Planet ist ein guter Film, der sich nicht sofort zu erkennen gibt. Ein sehr guter.

Julia Loktev

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