Duisburg 11: DIE HERDE DES HERRN von Romuald Karmakar

Die Herde des Herrn

Karmakar ist unerbittlich. Da machen zwei Jungs Faxen in die Kamera, während er 2005 die Schaulustigen und Wander-Pilger filmt, welche Ratzingers Geburtsort Marktl stürmen, in den Tagen, in denen Deutschland Papst geworden ist. Und Karmakar fragt hinter der Kamera ganz sachlich, warum sie feixen. Und auf die Erklärung des einen, „um auch einmal am Fernsehen zu kommen“: Ob das denn wichtig sei? Wann haben wir den letzten Dokumentarfilm gesehen, der schon bei seiner Entstehung didaktisch wirksam wurde?

Romuald Karmakar hat einen Blick fürs Absurde, für die Übertreibung und das Extreme. Seine Söldner-Interviews in Warheads, das Himmler-Projekt, stets hat er drauf gehalten, reduziert, mit der Kamera und ihrer Insistenz die Fragen auf ihren Kern reduziert. 2006 ging er mit Hamburger Lektionen dem Phänomen islamischer Hassprediger nach, auf direkt-indirekte Art, indem er die Übersetzung einer Predigt von einem Schauspieler so neutral wie möglich wiedergeben liess. Und mit Die Herde des Herrn schaut er vor allem einfach zu bei den Massenauswüchsen rund um die Papstverehrung. Der kleinmerkantile Trubel im Marktl, die Papsttorten, der Papsttee, die Kardinalsmützen beim Bäcker, das alles braucht keine Zusatzinformationen. Und wenn Karmakar von den Anbietern in die Kamera erklären lässt, was sie da produzieren und anbieten, dann ist das für sich genommen tatsächlich kein satirischer Akt.

Wenn er nur lange genug wartet, kommen die Wahnsinnigen und die Fanatiker ganz von selber zum Vorschein. Beim Filmen der Tausenden, welche rund um den Petersplatz drängeln und stossen, um die Leiche des toten polnischen Papstes zu sehen, um Abschied zu nehmen, zu trauern, oder einfach, um dabei zu sein bei einem Massenereignis ohnegleichen, ergeben sich Momente, die beeindrucken, solche, die Kopfschütteln provozieren und einer, bei dem das Gruseln greifbar wird. Da verkündet ein fanatischer blonder amerikanischer Papstanhänger, dass das Christentum „Number one“ sei. Und es braucht nichts, ausser der neutralen Frage danach, warum das denn so sei, um aus dem Gesicht eine Fratze werden zu lassen.

Die Herde des Herrn ist kein fernsehtauglicher Dokumentarfilm, obwohl die Länge von 80 Minuten, das vordergründige Sujet und das Material selber eigentlich ohne weiteres eine Sternstunde Religion füttern könnten. Aber die Harmlosigkeit, die schiere Vernunft, mit der das daherkommt, ist – wie so oft bei Karmakar – geeignet, die Wut der Getroffenen zu provozieren. Dabei hält Karmakar ihnen nicht einmal wirklich einen Spiegel vor, er stellt keine suggestiven Fragen. Er fragt bloss, was sich eigentlich alle fragen sollten. Und das reicht schon. Karmakar ist unerbittlich.

Romuald Karmakar
Romuald Karmakar

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