SFT12: EINE WEN IIG, DR DÄLLEBACH KARI

Nils Althaus in 'Eine wen iig - dr Dällebach Kari' ©ascot-elite

Hätte es je ein Beispiel gebraucht, um aufzuzeigen, was sich seit 1970 in der Schweizer Filmlandschaft verändert hat: Xavier Kollers neuer Dällebach wäre ideal. Weiter entfernt von Kurt Frühs bis heute heiss geliebtem, skurril-poetischem, schwarzweissen Dällebach Kari von 1970, und näher beim heutigen Kinopublikum könnte man den Stoff kaum umsetzen. Koller hat seinen Film auf ein Theaterstück aufgebaut und mit kinomässigem Theaterdonner fängt er auch an: In Sturm und Regen fährt mitten in der Nacht vor einem Emmentaler Hof ein Einspänner vor. Es ist der Arzt, der Tellenbachs Vater rät, den Neugeborenen mit der Hasenscharte lieber im Brunnen zu ertränken – der sei nicht lebensfähig. Es sind die grossen Emotionen, welche Koller sucht und findet, und dies mit dem bewährten Flügelschlag des grossen Unterhaltungskinos.

Und doch leistet Eine wen iig, dr Dällebach Kari schliesslich mehr, als das Formelkino, dem er an der Oberfläche entlanggleitet:

Zunächst spielt er virtuos mit der Chronologie, springt vom krebskranken resignierten Dällenbach zurück zum pfiffigen Jungen, zum scheuen jungen Mann, wobei die Sequenzlängen später im Film zunehmen, die Erinnerungen stärker werden, je schwächer der kranke Dällenbach wird. Alle drei Dällenbach-Darsteller sind grandios, Nils Althaus schafft es, den jungen Coiffeurmeister zugleich als scheuen Charmbolzen und explosiven Dampfkochtopf zu spielen. Und Hanspeter Müller-Drossaart macht sich die Figur so souverän zu eigen, dass man erst nach dem Film auf die Idee kommt, einen Vergleich mit Walo Lüönds bärbeissigem Dällebach von 1970 anzustellen – ohne dass man damit weit kommt: Die Figuren sind so verschieden wie die Filme und ihre Ansprüche. Wahrscheinlich sind es genau diese Ansprüche, welche den grossen Unterschied ausmachen: Kurt Früh wollte damals, 1970, weg vom Echo der Gotthelf-Filme. Er suchte einen urbanen, poetischen, existentialistischen Ton und fand ihn auch. Lüönds Dällebach versteckte seien Gefühle hinter seinen Sprüchen, dem bärbeissigen Wesen. Und die Nebenfiguren waren zum Teil noch viel mehr Aussenseiter als der Dällebach selber. Xavier Kollers Film macht nicht die geringsten Anstalten, sich von etwas abzugrenzen, im Gegenteil: Er spielt mit dem ganzen Orchester, den durchkomponierten Tableaus, Massenszenen, Schauwerten wie der liebevoll digital restaurierten Berner Altstadt inklusive barfüssigen Kindern. Und er gewinnt nicht zuletzt darum sein Publikum.

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