Diagonale 12: TABU – Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden von Christoph Stark

Peri Baumeister und Lars Eidinger als Geschwister Trakl in 'Tabu' ©Patrick Müller
Peri Baumeister und Lars Eidinger als Geschwister Trakl in 'Tabu' ©Patrick Müller

Vor fünfunddreissig Jahren hätte ich diesen Film geliebt. Ich wäre seiner todessehnsüchtigen Inzesterotik erlegen, ich hätte mitgefiebert mit dem jungen Georg Trakl, seine Gedichte auf meinen Lippen. Und ich hätte mich in die Schönheit der von Peri Baumeister gespielten Grete Trakl verliebt. Genau so hätte ich mir als Fünfzehnjähriger meinen Trakl gewünscht, nervös, mit tintenverschmierten Fingerspitzen, so verloren verstört genialisch, wie ihn Lars Eidinger spielt in diesem Film.

Warum also sollte mich heute stören, was mich damals entzückt hätte? Vielleicht, weil auch das Kino fünfunddreissig Jahre älter geworden ist, weil sich der Film weiterentwickelt hat, weil das genialische Künstlerbild zwischen Vincente Minellis Lust for Life und Romuald Karmakars Die Nacht singt ihre Lieder viel Zeit hatte, sich zu verändern.

Ich habe mich gestern im Kino ein wenig geschämt, als ich innerlich auflachte bei der ersten Einstellung auf Lars Eidingers jungen Trakl. Die halblangen Haare! Der glühende Blick! Die lachende Hure auf dem Bett! Was kann denn der Film dafür, dass ich ein alter Sack geworden bin? Aber je weiter und absehbarer Christoph Stark (er ist mit Jahrgang 1965 bloss vier Jahre jünger als ich) seine Moritat von der verbotenen Geschwisterliebe vorantrieb, desto deutlicher wurde, dass er da nicht bloss adoleszente Phantasien von Leidenschaft und Künstlertum inszeniert. Er sucht mehr, er sucht archetypisches – und macht den Fehler, dies dann historisch zu inszenieren.

Das bleibt erträglich bei den grosszügig eingestreuten Nebenfiguren, selbst Oskar Kokoschka und seine Windsbraut Alma Mahler-Werfel spielen mit. Bei einer Künstlerfete wird Grete nackt zur lebenden Skulptur als Rodin-Figur und Trakl kann seine Eifersucht nicht mehr zügeln ob der Provokation. Selbst die Mechanismen, welche Grete ausformuliert, dass er sie wolle und nicht mehr loslasse, aber nur im Versteckten, passen zum inszenierten Zeitgeist und seinen Fragen. Aber den grossen Verrat, die Verheiratung der Schwester mit ihrem Kompositionslehrer und Trakls Versuch, mit einer respektablen Frau eine offizielle Verbindung einzugehen, das rächt die Grete mit Verführung des Bruders und inzestuöser Selbstschwängerung. Da kippt das bis anhin aufrechterhaltene Bild einer intelligenten Frau in das der archetypischen femme fatale, der diabolischen Verführerin, in das von König Artus‘ Halbschwester Morgana, die mit ihrem nichts ahnenden Bruder Mordred zeugt, den späteren Zerstörer der Tafelrunde.

Peri Baumeister als Grete Trakl in 'Tabu' ©Patrick Müller
Peri Baumeister als Grete Trakl in 'Tabu' ©Patrick Müller

Oh, kein Zweifel, auch das hätte ich geliebt zu Beginn der 80er Jahre. Ich liebe John Boormans Excalibur bis zum heutigen Tag. und ich freue mich immer noch über all die schönen Geschwisterliebe-Motive in George Lucas‘ Original-Starwars-Trilogie. Aber das liegt daran, dass die alle aus jener Zeit stammen, als ich mit meiner Pubertät kämpfte und für ein paar Jahre ganz genau wusste, woran die Welt der Spiesser im innersten krankt.

Wenn schon Poeten-Fantasy zum Schwärmen, dann doch lieber so, wie das Philipp Stölzl mit Goethe! gemacht hat: Augenzwinkernd auf der Genrekino-Schiene. Und für die reine, wilde Leidenschaft des Georg Trakl funktionieren seine Gedichte dann doch besser für sich genommen, ohne bewegte Illustration. Aber eben: Ich bin ein alter Sack.

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