Je infantiler und reaktionärer die westlichen Gesellschaften auf die immer drängenderen Veränderungen in der Welt reagieren, desto subversiver wirkt die Verkindlichung, welche Wes Anderson und seine Kameraden im Geist, etwa Spike Jonze oder Michel Gondry, inszenieren.
Die Kinder, zumindest die beiden Hauptfiguren, sind die wahren Erwachsenen in diesem Film. Die zwölfjährige Suzy Bishop ist unter ihresgeleichen eben so sehr ein Misfit, wie der gleichaltrige Waise Sam bei den Boy Scouts, die auf der Insel ihr Sommercamp aufgeschlagen haben. Gemeinsam reissen sie aus und schlagen in der Wildnis ihre Zelte auf. Moonrise Kingdom nennen sie den Strand, an dem sie ihr perfektes Kleinfamilienlager gebaut haben. Bis die Erwachsenen, der von Edward Norton gespielte Pfadfinder-Leiter, Bruce Willis‘ Inselpolizist und Frances McDormand sowie Bill Murray als Anwalts- und Elternpaar, die jungen Liebenden trennen.
Wes Anderson hat seinen Stil in der trotzigen Entschlossenheit gefunden. Seine Filme sind immer Familiengeschichten. Und sie gehen immer davon aus, dass der ‚american dream‘ der heilen liebevollen Familie nur darum so attraktiv ist, weil er utopisch bleiben muss. Andersons Familien sind immer liebevolle Karikaturen, besetzt mit Menschen, die dauernd Fehler machen, sich aber im Grunde alle herzlich gern haben. Vielleicht hat es damit zu tun, dass Moonrise Kingdom auf mich ein wenig wirkt, wie ein subtil und subversiv umgeschnittener Disney-Familienfilm aus den sechziger Jahren. Das Vintage-Styling trägt natürlich dazu bei, aber auch das Gesellschaftsbild, das alle im Film mittragen und zugleich unterlaufen. Mama Bishop betrügt ihren Mann mit dem einsamen Sheriff. Der Pfadi-Leiter ist Mathematiklehrer, aber, wie er sagt, bloss im Nebenamt. In Wirklichkeit ist er Pfadfinder. Und die ganze Insel ist ein putziger Abenteuerspielplatz.
Wes Anderson kam 1969 zur Welt, ist also in einer Zeit aufgewachsen, in der die 50er und 60er schon Nostalgie waren, mit der Sehnsucht unserer Generation nach einem übersichtlichen Gesellschaftsvertrag und klaren Werten, aber zugleich im Bewusstsein, dass die Welt sich dauernd ändert. Und so entsteht in jedem Film, den er inszeniert, in jeder Szene, die er dreht, diese gleiche Spannung von neuem: Die Sehnsucht nach der liebevollen Idylle, umgeben vom emotionalen Chaos und diesem seltsam stoischen Festhalten an den Grundwerten von Gut und Richtig, selbst in jenen Momenten, wo eindeutig alles falsch läuft.
Die Welt funktioniert nicht nach dem Pfadfinderhandbuch, und darum wirkt komisch, wer sich trotzdem daran hält. Zugleich aber – und daran klammert sich das Wes-Anderson-Universum – ist das, was im Handbuch steht, nicht falsch. Es wird bloss gefährlich, wenn man es mit Gewalt durchzusetzen versucht. Das Chaos ist überall, auch in uns. Wir müssen es in die Idylle integrieren.
Moonrise Kingdom ist, wie alle Andersons, ein zutiefst amerikanischer Film. Aber weil seine Ängste und Sehnsüchte seit dem Ende es zweiten Weltkrieges den Westen geprägt haben, wirkt er auch universal. Ich mag ihn, obwohl er Andersons erstes Autoplagiat ist, das heisst, sein erster Film, der das Anderson-Prinzip sozusagen mehrheitsfähig durchspielt. Seine bisherigen Filme haben immer auch ein wenig Angst gemacht, weil sie so gnadenlos mit der Sehnsucht spielten. Moonrise Kingdom macht keine Angst. Aber Freude.
Muss ich mir anschaun. Cannes war ja auch in Mr Bean vertreten :)