Cristian Mungiu hat mit seinem Palmengewinn für 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage 2007 das rumänische Filmwunder in die Welt gebracht. Seither hat sich das neue rumänische Kino in viele Richtungen entwickelt, und Mungius jüngster Palmenanwärter fügt noch eine dazu. Beyond the Hills ist in der Gegenwart angesiedelt. Aber die kleine klosterähnliche Anlage, welche ein erst rund dreissigjähriger orthodoxer Priester, von den Novizinnen ‚Papa‘ genannt, mit einer Priorin, Mama genannt, auf einem Hügel aufgebaut hat, ohne Strom und fliessend Wasser, fällt irgendwie aus der Zeit.
Vordergründig folgt der Film realen Ereignissen, bei denen ein hilfloser Versuch eines Exorzismus zum Tod einer jungen Frau geführt hatten. Die Journalistin Tatiana Niculescu Bran hat einen ’non-fiction-Roman‘ über die tatsächlichen Begebenheiten geschrieben, der schliesslich aber bloss die Ausgangslage für den Film bildete. Mungiu hat die Ereignisse zugleich entdramatisiert und überhöht. Der tatsächliche Fall war zwar tragisch, aber für sich genommen bedeutungslos, sagt Mungiu. Da seien Inkompetenz, schlechtes Timing und Verantwortungslosigkeit zusammen gekommen.
So wie Mungiu die Geschichte nun erzählt, bekommt sie eine andere Dimension. Wie schon bei 4 Monate … stehen zwei junge Frauen im Mittelpunkt. Sie sind zusammen im lokalen Waisenhaus aufgewachsen. Die eine ist auf Arbeitssuche nach Deutschland gegangen, die andere der kleinen Klostergemeinschaft hinter dem Hügel beigetreten. Nun kommt die junge Frau aus Deutschland zurück, geschüttelt von Einsamkeit und in der Hoffnung, die Jugendfreundin zum mitkommen bewegen zu können.
Im Gegensatz zu seinem Palmengewinner von 2007, der wie ein Thriller aufgebaut sei, habe er für diesen Film eher die Form eines Romans gewählt, sagt Mungiu. Das sei nötig gewesen, weil die Figuren einen Hintergrund brauchen und sich die Zuschauer selber einen Reim machen müssen auf die Zusammenhänge. Er sei allerdings nicht sicher, ob sich das Verfahren für einen Film überhaupt eigne.
Nach den eindrücklichen 150 Minuten hier in Cannes kann man sagen: Doch, es geht. Anders als anderen Filmen, die gerne mit dem Label ‚episch‘ bezeichnet werden, deckt dieser keine ausgedehnte Zeitperiode ab. Dafür pendelt er zwischen der an Tarkovskis Andrei Rublev gemahnenden kleinen Klosteranlage mit Ziehbrunnen und ohne Strom, der Stadt, und vor allem dem Spital in der Stadt, in das die Rückkehrerin aus Deutschland nach einem ersten Zusammenbruch gebracht wird.
Die Freundinnen stehen zwischen den beiden Bereichen. Die eine verzweifelt am Alltag und der Einsamkeit in der Fremde, die andere hat sich mit ihrem – vor allem auch von Verzicht geprägten – Rückzug in die Klostergemeinschaft einen trügerisch sicheren Hafen gesucht.
Die orthodoxe Kirche ist offenbar eine dominante Kraft in Rumänien, in einem Land, in dem in Mungius Worten fünfzig Jahre Kommunismus, gefolgt von zwanzig Jahren Enttäuschung das moralische Gefüge massiv verändert hätten. Wenn die ins Kloster eingetretene junge Frau ihrer Freundin zu erklären versucht, dass sie nun eben nicht mehr ihre beste und einzige Freundin sei, dass das Gott und der Glaube näher seien, dann entsteht fast greifbar die Spannung auf der Leinwand, dieses Gefühl, dass Worte und Ideen manchmal nur dazu dienen, die Wahrheit zu verdecken.
Der Film bemüht sich sichtlich, jede Art von Spektakel zu vermeiden. Wie schon bei 4 Monate … besteht jede Szene aus einer einzigen Einstellung, es gibt keine enggeführte Blicksteuerung, die Kinozuschauer können sich die Details selber ausssuchen und zusammenreimen.
Am Ende ist eine der beiden jungen Frauen tot, der Priester und ein Teil seiner Gemeinschaft müssen zu Einvernahme bei der Polizei und die überlebende Freundin trägt statt des schwarzen Habits mit Kopftuch den Pullover der anderen.
Mungius Zweifel daran, ob seine romanhaft ausführliche Erzählart sich angesichts der relativ kurzen erzählten Zeit für einen Film wirklich eigne, sind berechtigt. Eigentlich spricht alles dagegen, dass das funktioniert. Aber Mungiu ist es gelungen: die 150 Minuten bleiben im Gedächtnis. Und der Schatten von Tarkovski hängt über den Erinnerungen. Was doch einigermassen verblüfft bei einem Filmemacher, der sich so betont nüchtern und distanziert auf seine Geschichte einlässt.