Cannes 12: AMOUR von Michael Haneke

Jean-Louis Trintignant
Jean-Louis Trintignant

Michael Haneke schaut nicht weg. Und sein Publikum darf das auch nicht. Aber mit Amour bewegt sich Haneke weg von der Unerbittlichkeit der Menschheit zur Unerbittlichkeit des Schicksals. Man könnte auch sagen: Er weint zum ersten Mal auch für sich selber.

Der 81jährige Jean-Louis Trintignant und die 85jährige Emmanuelle Riva sind Georges und Anne, ein altes, komfortabel eingerichtetes Ehe- und Liebespaar in einem schönen alten Pariser Apartement. Anne war Klavierlehrerin, zu Beginn des Films besuchen die beiden ein Konzert eines ehemaligen Schülers. Dass Isabelle Huppert, die bei Haneke schon La pianiste war, diesmal die Tochter spielt, wirkt zwar einen Moment lang wie ein privates Augenzwinkern, verschwindet aber fast sofort hinter der gewohnten Souveränität der Schauspielerin.

Zu Beginn des Films leistet sich Haneke noch weitere verspielte Momente, etwa wenn er den Konzertsaal voller Besucher zentral aus der Bühnenperspektive filmt und damit den Kinosaal spiegelt. Haben die Kinobesucher eben noch vernehmlich gehustet während des über neutralem Schwarz laufenden Titelvorspanns, sind es jetzt die Konzertbesucher auf der Leinwand, die beim Dimmen des Saallichtes husten. Das ist mehr als nur ein Gag, es ist eine Warnung. Denn Amour von Haneke ist ein Totentanz. Der Film hält uns den Spiegel vor und zeigt, was wird: gestorben.

Emmanuelle Riva
Emmanuelle Riva

Anne erleidet einen Schlaganfall, die Operation ist erfolglos und sie kommt halbseitig gelähmt nach Hause. Ziemlich bald erklärt sie Georges, dass sie eigentlich nicht mehr wolle, und nimmt ihm das Versprechen ab, sie nie mehr ins Spital zu schicken. Alles weitere ist konsequent und zum grössten Teil unerbittlich absehbar. Die Pflege, die Momente, in denen er die Geduld verliert, die Schmerzen, die Hilflosigkeit. Aber Haneke schafft mit seinen grossartigen Darstellern und einem bis ins letzte Detail perfekt ausgeleuchteten Set Szene für Szene das Kunststück, einen nicht loszulassen.

Es sind die banalsten Szenen, die zugleich auch die grössten Emotionen auslösen. Was da auf der Leinwand passiert, steht fast allen von uns auch bevor. Viele haben es wohl auch schon erlebt. Der grosse Magnet des Films ist Jean-Louis Trintignant. Der alte Mann verleiht seiner Figur eine Würde und Souveränität, die sprachlos macht. Wenn er eine Pflegerin nach dem ersten Tag schon wieder entlässt, weil sie mit der mittlerweile sprachlosen und kaum mehr ansprechbaren Anne wie mit einem kleinen Kind gesprochen hat, ist das eben so nachvollziehbar, wie sein Schock, als er seine Frau geohrfeigt hat, weil sie sich weigert, zu trinken und ihm das eingeflösste Wasser anspuckt.

Amour ist ein vertrackter Film, denn anders als die meisten Hanekes ist das kein einfaches oder auch komplexes ecce homo, kein moralisches Traktat, keine Anklage – und ein Film, der auf den ersten Blick eben so wenig Hoffnung zulässt, wie etwa Funny Games. Und doch bleibt zuletzt die Hoffnung. Jene auf die Würde und Gefasstheit, welche die einzig mögliche menschliche Haltung zu sein scheint, welche der Wut, der Angst und der Unausweichlichkeit angesichts des Vergehens etwas entgegenhalten kann.

Und damit ist auch klar, dass bei Haneke, im Gegensatz zu Seidls Paradies: Liebe der Titel keinen satirischen Unterton hat, sondern absolut für sich selber steht. Haneke, bei dem man oft das Gefühl habe, er sei an der Menschheit verzweifelt, macht sich selber Hoffnung in der Hoffnungslosigkeit.

Michael Haneke
Michael Haneke

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