Zweiundsiebzig Schnitte auf 127 Minuten Film. Das ist in der Tat ein monumentales Tempo und mit ein Grund dafür, dass Loznitsas Im Nebel hin und wieder an Tarkowski erinnert. Der andere, wichtigere, ist natürlich der, dass der grösste Teil des Films im Wald spielt. Und dass Russisch gesprochen wird.
Der Film spielt 1942 an der russischen Westfront. In den Wäldern Weissrusslands tobt ein leiser, aber tödlicher Partisanenkrieg gegen die deutsche Besatzung. Und Sushenya, ein Gleisarbeiter, gerät zwischen die Fronten, als er mit einer Gruppe von Saboteuren verhaftet wird. Aber nicht gehängt, wie die anderen drei, sondern bewusst freigelassen. Nun halten ihn seine Landsleute für einen Verräter, und die Deutschen warten nur darauf, dass sie ihn holen: Die perfekte Falle.
Vor zwei Jahren war Loznitsa hier in Cannes mit Schastye Moe (Meine Freude), einer ebenso irrwitzigen wie bösartigen Farce um einen Lastwagenfahrer auf Odyssee im menschlichen Niemandsland. Der Film war formal eine Tour de Force, einfallsreich und verpielt. Im Nebel dagegen ist gravitätisch, bedeutungsschwer, eine Pflichtarbeit. Die Zeit des zweiten Weltkrieges sei in Russland nie aufgearbeitet worden, nicht im Kommunismus, und schon gar nicht danach. Er habe es darum für seine Pflicht gehalten, Aufklärung zu betreiben.
Und so schickt er seinen Sushenya als Hiobsfigur auf einen Schicksalsparcour von einem Toten zu nächsten, von einer moralischen Entscheidung für das Richtige und gegen sich selber zur nächsten unvernünftigen, unpragmatischen Entscheidung gegen das Böe und Falsche.
Als abgrundtraurige Schwejkiade, als Parabel, und als realistisches Abbild einer fürchterlichen Zeit wäre dieser Film wohl ganz eindrücklich. Das ist untadeliges Handwerk, eine zwingende Geschichte. Und doch wirkt das staubig, altmodisch gar, nach den fordernden, verspielten Filmen von Carlos Reygadas und Leos Carax.
Eine seltsame Form der Festivalmüdigkeit hat mich übermannt: Die gestrigen Höhenflüge haben vorübergehend meine Geduld für die klassische Form vertrieben.