Locarno 12: LOS MEJORES TEMAS von Nicolás Pereda

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Ein filmisches Verwirrspiel aus Mexiko, ein lustvolles Geplänkel zu einem nicht ganze einfachen Thema. Es geht um einen Vater, der nach 15 Jahren Abwesenheit plötzlich wieder auftaucht und seinen nun 28jährigen Sohn und dessen Mutter in Verlegenheit stürzt. Schmeissen wir ihn gleich wieder raus oder hören wir uns erst seine Geschichte an?

Aber bis man als Zuschauer erst mal verstanden hat, wer da wer ist und worum sich die Dinge und Worte drehen, steht eine ganze Reihe hübscher Spiele an. Zunächst ist da die lange Reihe von Liebesbeteuerungen, welche der Sohn vor sich hin spricht, immer wieder, ein wenig stockend, mal bei der Mutter, mal bei der hübschen jungen Frau, welche sich als seine Schwester entpuppt. Es sind die Titel von Schlagern, eben den „mejores temas“, den besten Songs, welche er auf einer MP3-CD zusammengestellt verkauft, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

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Gerade weil dieser erste Wettbewerbsbeitrag des diesjährigen Festivals einen lange im Ungewissen lässt darüber, was diese seltsam melodramatischen Wortfolgen eigentlich zu bedeuten haben, laden sie jede noch so banale Einstellung mit potentiellem Drama auf. Und das Drama ist tatsächlich da, oder war es. Denn der zurückgekehrte Vater erweist sich als liebenswerter Halodri, auf Versöhnung aus, aber auch darauf, irgendwo unterzukommen und Geschäfte zu machen.

Die Ausgangslage, welche sich erst in der Mitte des Film völlig erschliesst, erinnert an Kaleo La Belles Dokumentarfilm Beyond this Place von 2010. Ein Sohn, der seinem fast das ganze Leben abwesenden Hippievater nachspürt. Und diese mexikanische Variante geht einem auch ganz ähnlich nahe, zumal immer unklarer wird, ob es sich um einen reinen Spielfiilm oder vielleicht doch einen Dokumentarfilm handelt. Denn nachdem Mutter und Sohn den Avancen des Vaters widerstanden haben und sich entschliessen, ihn wieder rauszuschmeissen, folgt eine zuvor zentrale trunkene Entschuldigungsszene im Wohnzimmer noch einmal, mit den gleichen Protagonisten – bis auf den Vater, der von einem anderen, grösseren und selbstbewussteren Mann gespielt (oder eben nicht) wird, der gar nicht daran denkt, sich für sein hippiemässiges Verschwinden vor 15 Jahren zu entschuldigen.

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Da sitzt man nun und merkt plötzlich, dass die durchaus schon bedauernswerte Verwirrung bei Mutter und Sohn im ersten Teil wohl eine Art positive Utopie oder eine Wunschvorstellung war. Denn nun zeigt sich der Sohn ausserstande, sich dem Charisma des Vaters zu entziehen.

Der Film wirkt faszinierend, weil er den Eindruck hinterlässt, das letzte Drittel sei dokumentarisch und alles was vorangestellt ist, sei als Möglichkeit und Projektion von Selbstbestimmtheit beim Sohn inszeniert. Beides hinterlässt ein seltsames Gefühl, nämlich das, irgendwie etwas banales vielleicht allzu bedeutsam interpretiert zu haben, wie die Songtitel des Filmtitels. Oder aber das Gegenteil: Die Faszination einer Vaterfigur für einen Sohn unterschätzt zu haben.

Es ist jedenfalls lange her, seit mich ein Film so frech und kratzig herausgefordert hat.

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