Berlinale 13: DOLGAYA SCHASTLIVAYA ZHIZN – A Long and Happy Life – von Boris Khlebnikov

Dolgaya schastlivaya zhizn 5

Zynischer könnte ein Filmtitel gar nicht sein. Aber das weiss man erst, wenn dieses russische Drama sein einleuchtendes Ende gefunden hat. Die erste Einstellung erinnert an Tarkovski. Ein breiter Fluss, ein russisches Dorf aus verwitterten Holzhütten, eine kleine Kirche. Aber schon nach dem ersten Schnitt sind wir mitten in der heutigen Zeit. In einem Büro der Kreisverwaltung bedrängen zwei Beamte den jungen Sascha, den Verkaufsvertrag zu unterzeichnen für die ehemalige Kolchose, die er seit einiger Zeit führt. Es gibt lukrative Pläne für das Land, die Landarbeiter und der Pächter sollen mit einer Abfindung zur Räumung bewegt werden.

Sascha ist erschüttert, fügt sich aber und verspricht, zu unterschreiben. Das hat auch mit seiner heimlichen Liebschaft zur Sekretärin des Kreisbüros zu tun: Die möchte schon lange lieber mit ihm in die Stadt ziehen.

Alexander Yatsenko, Anna Kotova
Alexander Yatsenko, Anna Kotova

Aber angesichts seiner Arbeiter und ihrer trotzigen Entschlossenheit, sich nicht abspeisen und verteiben zu lassen, findet auch Sascha zurück zum Kampfgeist. Er treibt die Kartoffelernte voran, baut den geplanten Hühnerstall auf und verweigert der Verwaltung die Unterschrift. Ein Resultat ist, dass ihn seine Freundin fallen lässt.

Überraschender aber ist die weitere Entwicklung. Da fährt nun nicht etwa die Staatsgewalt auf und vertreibt die störrischen Bauern. Sascha sieht sich viel mehr der schleichenden Erosion der Solidarität ausgesetzt. einer nach dem anderen springt ab, getrieben von Angst, oder Gier, oder der Angst der Ehefrau. Und als Sascha schliesslich herausfindet, wer all das Land aufkauft, bricht seine Welt vollends ein.

Alexander Yatsenko
Alexander Yatsenko

Nach den erten Schnitten wähnte ich mich in einer gutgemeinten, aber hilflosen filmischen Bastelarbeit. Da stimmt nichts, weder die Schnittkadenz noch die Szenenlänge. Die Kamera wirkt bisweilen aufdringlich, dann wieder verschämt. Aber: Sie wirkt. Denn das ist die nächste Erkenntnis. Das Unbehagen, das dieser menschliche Sumpf an Gier und Angst und Verschagenheit auslöst, spiegelt sich im Unbehagen, das die Blickführung verursacht.

Dolgaya schastlivaya zhizn 1

Die wunderschöne nordrussische Landschaft, die Wälder, der Fluss, das Bett in Saschas Haus, das in der Ecke zwischen zwei Fenstern steht, mit Blick auf den rauschenden Fluss: Das alles weckt das Heimweh nach der vielbeschworenen russischen Seele. Darum auch die Tarkovski-Assoziation am Filmanfang. Aber das bisschen Solidarität unter den Menschen, das sich in ihren Augen bald als Naivität oder gar Dummheit entpuppt, hilft nicht, die Verzweiflung einzudämmen.

Dafür gibt es eine extrem packende Sequenz, die das körperlich fühlbar macht. Der zunehmende wütende Sascha rast in seinem Kleinbus immer schneller über die Waldstrasse, die Kamera bleibt dabei fix auf seinem Gesicht. Nur die Tonspur lässt das zunehmend rasende Tempo erahnen. Und dann bremst er ab und es ist nichts passiert. Die emotionale (und die kinematographische) Energie dieser Sequenz bleibt aber in Erinnerung und verleiht dem Finale eine explosive Kraft.

Dolgaya schastlivaya zhizn 3

A Long and Happy Life erzählt eine beeindruckend realistisch wirkende Geschichte auf eine Weise, die einfährt und nachwirkt. Das liegt teilweise auch an bestechend intensiven filmischen Einfällen wie der Raserei auf der Tonspur. Und im Vergleich zum thematisch verwandten, aber hollywoodmässig auf Effizienz getrimmten Promised Land von Gus Van Sant gestern ist der Film von Boris Khebnikov ein rohes, wahrhaftiges und wütend allgemeingütiges Stück Kino. Aber die filmischen Mittel, die er einsetzt, lassen Eleganz vermissen, Klarheit, überhaupt Form. Vielleicht in voller Absicht und höchst wirkungsvoll. Vielleicht aber auch einfach so. Und diese Unsicherheit trägt dazu bei, dass der Film in der Erinnerung schneller verblasst, als ich es erwartet hätte.

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