Cannes 13: GRIGRIS von Mahamat-Saleh Haroun

Souleymane Démé als Grisgris
Souleymane Démé als Grisgris

Dass ein Film wie Grigris überhaupt noch entstehen kann, sollte eigentlich ein Grund für Freude sein. Tatsächlich aber packt mich immer häufiger die Trauer, wenn wieder so ein braver Zombie an einem Festival auftaucht. Vor 25 Jahren entstanden sie, in vielen afrikanischen Ländern, meist mit Hilfe Frankreichs, was Produktion und Distribution und vor allem das Publikum anging. Es war eine Zeit des Aufbruchs – und sie hat nirgendwo hin geführt.

Das „afrikanische“ Kino, oder was wir einmal dafür gehalten haben, brachte bewegende und teilweise grossartige Filme hervor, Filme, welche in Europa Aufmerksamkeit erregten, und ihren Autoren eine Basis für mehr oder weniger kontinuierliche Arbeit boten. Und ihnen einen Ruf in der Heimat einbrachten, von dem sie zehren und auf den sie aufbauen konnten. Gleichzeitig war das zumindest zum Teil eine ungewollte Weiterführung der Kolonialisierung Afrikas durch den europäischen Kulturbetrieb.

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Cannes 13: ONLY GOD FORGIVES von Nicolas Winding Refn

Ryan Gosling is up for it
Ryan Gosling is up for it

Es gibt ein paar urkomische Momente in diesem gefriergetrockneten Hochglanznütteli. Kurz bevor der diabolische Chefpolizist (Vithaya Pansringarm) einen der Drogen-Handlanger mit stählernen Essstäbchen an seinen Sessel nagelt, ihm die Augen aufschlitzt und einen Eispickel ins Ohr schiebt, fordert einer der Unterpolizisten die im Nachtclub anwesenden Damen dazu auf, die Augen zu schliessen.

Und als Ryan Goslings Julian seiner eiskalten Mutter (Kristin Scott Thomas) beim Nachtessen seine Gefährtin vorstellt, und diese der Mama auf Nachfrage erklärt, sie sei Entertainerin, fragt die blondierte Mama: „And how many cocks at once can you entertain with that cute little cumdumpster of yours?“

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Cannes 13: BEHIND THE CANDELABRA von Steven Soderbergh

Michael Douglas als Liberace
Michael Douglas als Liberace

Es soll Steven Soderberghs letzter Film sein, bevor er sich in die Malerei zurückzieht. Und produzieren konnte er ihn auch nur dank HBO, weil sich keiner der us-amerikanischen Kino-Player an die Schwulitäten einer Liberace-Geschichte herangetraute. In einem der Trade-Papers hier in Cannes wurde denn auch der Ausspruch von Steven Soderbergh zitiert, dass es einigen Leuten wohl schon etwas zu viel sein könnte, Jason Bourne auf Gordon Gekko zu sehen.

Tatsächlich sind die Verwandlungen der beiden Schauspieler und ihr sichtliches Vergnügen an den doch ziemlich irren Rollen das Beste an diesem Film. Was nicht heisst, der Rest sei schlecht. Behind the Candelabra erzählt die reale Geschichte des schwulen Pomp-Pianisten Liberace, dessen Manager erfolgreich alle Medien verklagte, welche behaupteten, der Mann sei schwul. Und Soderbergh macht daraus eine exemplarische Geschichte mit viel Witz und Drama.

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Cannes 13: LA GRANDE BELLEZZA von Paolo Sorrentino

Toni Servillo ist Jep Gambardella in 'La grande bellezza' © pathéfilms
Toni Servillo
Toni Servillo

Paolo Sorrentino ist wohl tatsächlich der einzige zeitgenössische italienische Filmemacher der sich in der Nachfolge Fellinis versuchen darf. Aber auf den ersten Blick ist dieser monumentale Versuch, direkt an Fellinis Meisterwerken, insbesondere La dolce vita, anzuknüpfen, sagen wir mal: eigenartig. Und das spricht ja eigentlich dafür.

Auf den zweiten Blick ist La grande Bellezza ein opulentes, festives, ausuferndes Sehvergnügen, das doch vor allem von den Phantomen vergangener Zeiten lebt – und Sorrentino ist das wohl bewusst. Er schickt seinen Lieblingsschauspieler Toni Servillo in einer Marcello-Mastroianni-Rolle als Edelfeder Jep Gambardella durch die Nächte Roms, auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der verlorenen Jugend. „Cannes 13: LA GRANDE BELLEZZA von Paolo Sorrentino“ weiterlesen

Cannes 13: UN CHÂTEAU EN ITALIE von Valeria Bruni Tedeschi

Valeria Bruni Tedeschi
Valeria Bruni Tedeschi

Vor zehn Jahren hat die Schauspielerin, Millionärstochter und Schwester von Carla Bruni Sarkozy mit der Komödie Il est plus facile pour un chameau… Vergnügen, Verblüffung und Annerkennung gefunden. Die zu guten Teilen autobiographisch unterfütterte Geschichte stellte ein armes reiches Mädchen ins Zentrum, das sich schwer tut damit, sein Glück zu finden.

Jetzt, zehn Jahre später, spielt das reiche Mädchen weiter mit seiner Familiengeschichte. Bruni Tedeschi geht auf die Fünfzig zu, spielt aber – leicht kokett und schwer verhühnert – die 43jährige Louise. Ihr geliebter Bruder Ludovic ist an Aids erkrankt, das Familienschloss, der letzte Rest des Vermögens des verstorbenen Vaters in Italien, muss demnächst verkauft werden und, Louise wünscht sich sehnlichst ein Kind.

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Cannes 13: WARA NO TATE – Shield of Straw – von Takashi Miike

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Der Plot dieser Miike-Kiste wäre faszinierend. Ein Milliardär setzt eine Million als Kopfgeld auf den Mörder seiner Enkelin aus. Der Killer stellt sich freiwillig der Polizei, als er merkt, das er nirgendwo mehr sicher ist – und ein paar Elite-Polizisten müssen ihn sicher vor Gericht bringen.

Den Plot hatten wir schon mal, er gehörte zu einem der weniger plausiblen und dafür um so vergnüglicheren Clint-Eastwood-Vehikel der Siebziger Jahre: The Gauntlet von 1977 lässt Eastwood gegen die geballte Kraft des Polizeikorps eine Zeugin in die Stadt bringen, welche Polizeikorruption aufdecken kann. Als Regisseur machte Eastwood damals keine Gefangenen, der Filmplot war so hauruck wie nur nur etwas: Hauptsache ballern. „Cannes 13: WARA NO TATE – Shield of Straw – von Takashi Miike“ weiterlesen

Cannes 13: LE DERNIER DES INJUSTES von Claude Lanzmann

Claude Lanzmann mit Benjamin Murmelstein
Claude Lanzmann mit Benjamin Murmelstein

Mit 87 hat Claude Lanzmann offensichtlich nichts von seinem Furor eingebüsst. Und nur wenig von seiner zuweilen egozentrischen Energie. 1975 hatte Lanzmann in Rom Benjamin Murmelstein interviewt, den letzten noch Lebenden der seinerzeit von den Nazi eingesetzten „Judenräte“. Das Material hatte er Steven Spielbergs Shoah-Foundation übergeben. Dort sollte es Forschern auf Anfrage zur Verfügungs stehen.

Als Lanzmann dann allerdings in einem Dokumentarfilm auf Auschnitte seines Interviews stiess, wurde er ungehalten und beschloss, das Material doch noch selber zu einem Film zu verarbeiten. Gestern hatte Le dernier des injustes hier in Cannes Premiere – ausser Konkurrenz, aber in Anwesenheit unter anderen von Valerie Trierweiler, Frankreichs aktueller Première Dame.

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Cannes 13: BORGMAN von Alex van Warmerdam

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Wenn dieser Film kein US-Remake bekäme, müsste es schon mit dem Teufel zugehen. Was nicht ganz ausgeschlossen ist, denn in den ersten Minuten von Borgman macht sich ein Priester mit zwei bewaffneten Männern auf die Jagd nach Männern, die ganz wörtlich im Wald im Untergrund schlafen. Allerdings gelingt ihnen die Flucht und es beginnt eine Geschichte, die wir noch nicht gekannt haben.

Es kommt selten genug vor, dass ein Film mit einer völlig neuen originellen Prämisse aufwartet. Borgman bereichert die Welt des phantastischen Films um eine neue Spezies. Am Anfang sind es drei Exemplare, am Ende etliche mehr. Und es steht zu befürchten, dass sie irgendwann Legion sein werden.

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Cannes 13: INSIDE LLEWYN DAVIS von Joel & Ethan Coen

Oscar Isaac ist Llewyn Davis

Llewyn Davis ist nicht Bob Dylan. Er hat weniger Talent, weniger Glück, vor allem aber weniger Charisma. Man könnte sogar sagen, er hat gar keines. Llewyn sei ein Arschloch, sagt die von Carey Mulligan gespielte Jean Berkey, die von ihm schwanger ist. Der neue Film der Coen-Brüder folgt einem Singer/Songwriter/Folksänger im Jahr 1961 auf seiner Odyssee von Couch zu Couch in New York, einem Abstecher nach Chicago und einer nächtlichen Kurve über Akron.

Inside Llewyn Davis heisst die Soloplatte, welche er aufgenommen hat nach dem Selbstmord seines Gesangspartners. Aber die hat auch keiner gekauft, das Publikum steht auf Pop-Folk, auf Peter, Paul and Mary, und Bob Dylan wird erst in ein paar Monaten in die Stadt kommen. Film-ethnographisch gesehen ist Llewyn Davis ein Nachkomme von Barton Fink. „Cannes 13: INSIDE LLEWYN DAVIS von Joel & Ethan Coen“ weiterlesen

Cannes 13: JIMMY P. von Arnaud Desplechin

Mathieu Amalric und Benicio del Toro
Mathieu Amalric und Benicio del Toro

‚Psychotherapy of a plains Indian‘ lautet der Untertitel dieser gepflegten Rekonstruktion eines realen Falles aus der Praxis des Pioniers der Ethnopsychoanalyse, Georges Devereux. Und damit ist der Film ein ganz entfernter Verwandter von David Cronenbergs A Dangerous Method.

Allerdings ist die Geschichte des Blackfoot-Indianers Jimmy Picard die eines therapeutischen Erfolges. Und die wirklich spannende Figur ist auch nicht der von Benicio del Toro gespielte Jimmy, sondern viel mehr Georges Devereux, so wie in Mathieu Amalric mit frettchenhafter Fröhlichkeit über die Leinwand wuseln lässt. „Cannes 13: JIMMY P. von Arnaud Desplechin“ weiterlesen