NIFFF 13: HAUNTER von Vincenzo Natali

Abigail Breslin, Eleanor Zichy
Abigail Breslin, Eleanor Zichy

Vincenzo Natali gehört zu den kreativsten Köpfen des Genrekinos, er treibt jede Plotwendung, jeden Kinomythos, jede verquere Tradition jeweils noch um zwei Ecken weiter. Mit Cube hat er dem Weltraum-Existenzialismus den wahren Rubiks-Würfel geschenkt, und mit Splice hat er sozusagen Alien und Jurassic Park vereinigt. Nun jagt er die immer wieder wunderbare Abigail Breslin als Teenager-Göre durch die irrste nur denkbare Kombination von Groundhog Day, Nightmare on Elm Street, The Others, The Lovely Bones und Coraline.

Allzu viel darf man vom Plot ncht verraten, um das Vergnügen an diesem Film nicht zu schmälern. Aber ein paar Hinweise auf kommende Attraktionen sind doch erlaubt:

Lisa lebt mit ihren Etern und dem jüngeren Bruder in einem Haus. Sie ist offensichtlich Fan von David Bowie, Siouxsie and the Banshees und weiteren 80ies Grössen. Ihr Tag beginnt damit, dass sie von ihrem kleinen Bruder via Walkie-Talkie aufgeweckt wird, dann gibt es Frühstück. Der Vater flickt in der Garage das Auto und die Mutter schickt Lisa in den Keller, um die Waschmaschine zu füllen. Später stellt sich heraus, dass ein paar Kleidungsstücke fehlen, es gibt Abendessen und die Familie schaut sich gemeinsam am TV Murder She Wrote an.

Lisa ist allerdings die einzige, der auffällt, dass sich an dieser Routine nichts ändert. Jeder Tag ist Sonntag und beginnt genau gleich. Und weder ihre Eltern noch ihr Bruder gehen auf ihre Fragen ein. Und Edgar, der unsichtbare Freund des kleinen Bruders, ist schon gar keine Hilfe.

Klar ist die Mutter ein wenig verblüfft, als Lisa siedarauf hinweist, dass sie schon weiss, dass nach der Wäsche Kleider fehlen. und Bruder Robbie ist empört, als sie ihn darauf hinweist, dass er immer in der gleichen unteren Ecke sein letztes Leben in PacMan verliert. Viel später im Film wird dann allerdings Robbie die unsterbliche Aussage machen, ihr ganzes Leben sei wie PacMan: Man sterbe unzählige Male und dann gehe das wieder von vorne los. Alles in Ordnung also.

Abigail Breslin
Abigail Breslin als Lisa

Haunter ist ein völlig überladenes, barockes Stück Multi-Genre-Kino, einer jener Filme, die man sich x-fach ansehen kann, weil der Detailreichtum schier unerschöpflich scheint. Ob Natali nun mit den musikalischen Elementen spielt, von Peter und der Wolf (dessen Intro Lisa immer wieder auf der Klarinette übt) über die Rokabilly Schachtfetzen, welche der Vater in der Garage hört bis zu den Musikstars, denen Lisa mit Postern und T-Shirts huldigt, oder über die Ausstattungselemente, welche ganze Jahrzehnte auf einen Blick erkennbar machen: Der Film wirft einen Popkultur-Anker nach dem anderen aus. Und er spielt damit.

Wie alle wirklich guten Genre-Filme trifft auch Haunter eine zeitgenössische Obsession. Hier ist es die us-amerikanische Angst vor dem Niedergang. War die Zeitschleife in Groundhog Day noch ein ganz generell existentieller Kommentar zur westlichen Befindlichkeit, wird sie hier zu einer neuen Bedrohung. Die Insistenz auf den unveränderlichen Famlienalltag der amerikanischen Bilderbuch-Konstellation von Vater-Mutter-Schwester-Bruder im eigenen Haus ist alternierend Bedrohung und Zuflucht für Lisa. Und all die signifikanten ausstatterischen Zeitmarker im Film sprechen gleichzeitig unsere Nostalgie an, wie auch unsere Verlustängste.

Wenn Lisa auf dem Dachboden eine VHS-Videokassette mit Aufnahmen vom Umzug findet, und die dann in einen Betamax-Player schiebt, dann zucken wohl nur die wenigstens Zuschauer zusammen. Obsolet sind beide Systeme, kompatibel waren sie nie. Dafür hat Lisa dann viel später Mühe, die Post-It-Aufforderung „Press Play“ auf einem Ipad auszuführen, weil sie bei dem Dings einfach keinen Play-Button findet, die Rückseite ist so glatt wie die Vorderseite.

Bill Murray in 'Groundhog Day' von 1993
Bill Murray in ‚Groundhog Day‘ von 1993

Haunter ist ein vielschichtiges Spiel mit Ängsten und Obsessionen, ein wunderbarer Mix aus bekannten und neuen Elementen. Da ist alles drin, von der geheimen Tür in der Waschküche bis zum Fotoalbum unter den Bodenbrettern. Natali spielt mit den immer wieder wirksamen Spiegelmotiven so souverän wie mit dem kindlichen Horror unter der Bettdecke – und dreht doch immer weiter am Regler. So kommt der Film zu ein paar echten Horrormotiven, zu wirksamen Schreckmomenten und etlichen wahrhaft komischen Trouvaillen. Was ihn aber über das Gros einschlägiger Produktionen weit hinaushebt, ist sein eben so cleveres wie bissiges Spiel damit, dass der amerikanische Traum ausgeträumt ist – und dass niemand so genau weiss, ob weiterträumen oder aufwachen schlimmer wäre.

Still aus 'Splice' von Vincenzo Natali (2009)
Still aus ‚Splice‘ von Vincenzo Natali (2009)

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