Auf einem hohen Energielevel einsteigen und dann nie mehr nachlassen. Das dürfte eine der Grundregeln sein, welche Destin Crettons Drehbuchlehrer seinem Schüler mitgegeben hat. Jedenfalls hat er das mit diesem, seinem zweiten Langfilm, mustergültig umgesetzt. Short Term 12 ist eine Auffangstation für unter 18jährige, für Verhaltensauffällige, Verstörte, Vereinsamte oder Abgestürtzte. Teamleiterin ist Grace, zwischen zwanzig und dreissig Jahre alt.
Zu Beginn des Films führt sie eben ein neues Teammitglied ein, den Studenten Nate, der hier eine Art Praktikum absolviert. Graces Freund und Kollege Mason erzählt mit Verve, wie er seinerzeit von einem Ausreisser so eingeschüchtert wurde, dass er sich in die Hose machte – eine Geschichte, die mittlerweile legendär zu sein scheint und auch unter den neuen Kids in Short Term 12 immer wieder die Runde macht.
Und noch während Mason erzähl, rast plötzlich ein kleiner, drahtiger rothaariger Junge aus dem Haus und rennt brüllend über die Wiese, augenblicklich verfolgt von Grace und Mason, die ihn auch einholen, zu Boden zerren und sanft festhalten, bis er sich beruhigt hat. Innerhalb des Geländes dürfen sie das, jenseits des Gartentors müssten sie ihn rennen lassen. Eine klare Regel, welche zugleich zeigt, dass Short Term 12 keine geschlossene Anstalt ist, sondern eben eine Art Therapiestätte mit Regeln – und auf der metaphorischen Ebene, worin die Arbeit der jungen Männer und Frauen mit den Kids besteht.
Das faszinierende an dieser Filmexposition ist die Kombination von gefilmter Erzählung mit plötzlicher illustrativ-eruptiver Action. Aber Cretton beherrscht das dramturgische Handwerk weit über solche Tricks hinaus. Der Film wirkt zu Beginn sehr dokumentarisch, er führt einzelne der Kids unauffällig ein und zeigt die Arbeit von Grace und Mason, die Hierarchien im Heim, die Hausregeln.
Und sobald man genügend weiss über die Kids, wechselt der Fokus subtil auf Grace und Mason und dann wieder zurück zu der eben angekommenen, ziemlich aggressiven Jayden. Gekonnt werden wir als Zuschauer immer näher an die Protagonisten herangeführt, wir erfahren, dass Grace schwanger ist von Jason, ihm aber nichts davon gesagt hat, weil sie abtreiben will. Wir sehen, wie sie sich immer stärker mit dem schicksal von Jayden identifiziert, bis wir merken, dass sie eine ähnliche Missbrauchsgeschichte hinter sich hat.
Short Term 12 hält die filmische und die emotionale Energie mustergültig in der Balance. Das ist ein unglaublich wirkungsvoller, starker und damit auch manipulativer Film, dem es gelingt, die grossartige und schwierige Arbeit dieser Gruppe junger Menschen eindrücklich zu vermitteln.
Dass am Ende alles wunderbar aufgeht, ein ganzer Blumenstrauss an positiven Wendungen sich auftut, ist dann allerdings des Guten ein wenig zu viel. Der Film verliert dabei seine rohe Energie nicht, aber er büsst eine Spur seiner realistischen Wirkung ein. Das scheint auch dem Filmteam bewusst gewesen zu sein, jedenfalls macht Cretton dann ganz am Ende noch einmal einen Zirkelschluss und entlässt einen auf dem gleichen Energielevel, mit dem er eingestiegen ist.
Das ist stark, gekonnt und wirkungsvoll. Aber auch ein wenig endgültig: Danach ist die Kiste zu.