Locarno 13: REAL von Kiyoshi Kurosawa

Atsumi (Haruka Ayase) beim Sensing
Atsumi (Haruka Ayase) beim Sensing

Kiyoshi Kurosawa (der mit Akira nicht verwandt ist), hat eine eindrückliche Filmografie aufzuweisen. Und seine oft den Grenzbereich zwischen fantastischem Kino und Horror streifenden Filme waren immer wieder unterschiedlich eindrücklich. Bei seinem jüngsten, jetzt im Wettbewerb von Locarno laufenden Effort konnte ich mir die Enttäuschung allerdings nicht verkneifen.

Der Originaltitel ist ausführlicher als das internationale Real: Riaru: Kanzen naru kubinagaryû no hi. Und die Geschichte, die der Film erzählt, ist durchaus phantastisch. Koichi nimmt mit seiner im Koma liegenden Freundin mittels einer hochmodernen klinischen Technik – Sensing genannt – Kontakt auf. Koichi und Atsumi treffen sich in einer virtuellen Version ihrer eigenen Wohnung und versuchen herauszufinden, warum sich die Manga-Zeichnerin umbringen wollte.

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Locarno 13: MARY QUEEN OF SCOTS von Thomas Imbach

Camille Rutherford als Mary Stuart
Camille Rutherford als Mary Stuart © pathé

Eigentlich ist das ja durch mit den Tudors, den Sex & Crime-Eskapaden in Fernsehmehrteilern, und es wäre wieder an der Zeit für die grossen Königsdramen – wenn Jean-Stéphane Bron schon einleuchtend seinen L’expérience Blocher als „seinen Blocher“ bezeichnet, in Analogie zu „seinem Hamlet“ oder „seinem Lear“ im Gesamtwerk eines Theaterregisseurs. Und nun also Thomas Imbach mit „seiner“ Maria Stuart?

Nun, zunächst ist es nicht Imbachs Maria, sondern jene von Stefan Zweig, die hier der Leinwand angewandelt wird. Und zudem interessiert sich Thomas Imbach nicht einfach für die Königin und ihr tragisches Schicksal, sondern offensichtlich für Wandlungen und Interpretationen und Verstofflichungen des teils historischen und teils literarischen Materials. Entstanden ist dabei ein exquisiter Film.

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Locarno 13: L’EXPERIENCE BLOCHER von Jean-Stéphane Bron

Drehen in Herrliberg © frenetic
Drehen in Herrliberg © frenetic

In seiner Hoffnung, den Multimillionär und selbsternannten Volkstribunen Christoph Blocher auf eine andere Weise erfahrbar zu machen und kennen zu lernen, ist Jean-Stéphane Bron gescheitert. Als Filmemacher dokumentiert er dies auch, bietet aber zugleich ein handwerkliches Arsenal an Effekten auf, um seine Bemühungen nicht abschreiben zu müssen.

Bron hat Blocher mit dessen Einverständnis gefilmt und begleitet, sass mit ihm stundenlang im fahrenden Auto, auf dem Vordersitz neben dem Chauffeur, Blocher im Fonds. Er hat ihn inszeniert, im leeren Bundeshaus, in der leeren Villa in Herrliberg. Er hat Dokumentaraufnahmen und Inszenierungen verwoben und mit einem subjektiven Kommentar, der sich direkt an Blocher wendet, unterlegt. „Locarno 13: L’EXPERIENCE BLOCHER von Jean-Stéphane Bron“ weiterlesen

Locarno 13: HISTORIA DE LA MEVA MORT von Albert Serra

Giacomo Casanova
Giacomo Casanova

Graf Dracula und Giacomo Casanova im gleichen Film? Das klingt zunächst eher nach einem Spekulationsprodukt wie Alien vs Predator. Aber Albert Serra hat schliesslich Literaturtheorie und vergleichende Literaturwissenschaft studiert und seine Reputation als Filmemacher steht auch ausser Zweifel. Wo also führt er uns dieses Mal hin?

Tatsächlich in die Karpaten, bis knapp in die Nähe des Schlosses von Graf Dracula, somit nicht völlig nach Transsylvanien, aber doch nach Sylvanien. Und unterwegs sind wir mit Giacomo Casanova auf einer seiner vielen Reisen – man muss annehmen, seiner letzten. „Locarno 13: HISTORIA DE LA MEVA MORT von Albert Serra“ weiterlesen

Locarno 13: L’ETRANGE COULEUR DES LARMES DE TON CORPS von Hélène Cattet und Bruno Forzani

Wenn man die letzten Bilder dieser Stilübung in surrealem Horror wörtlich nimmt, dann handelt es sich bei L’étrange couleur des larmes de ton corps, der seltsamen Farbe der Tränen deines Körpers, ganz banal um das Menstruationsblut der älteren Schwester eines traumatisierten Jungen. Und das ist auch das grösste Problem des Films:

Nimmt man ihn zum Nennwert, bleibt nicht viel von ihm übrig. Hélène Cattet und Bruno Forzani erweisen sich einmal mehr als stilsichere Apologeten des klassischen Giallo. Sie beherrschen die Palette des surrealen Horrors mit Innenarchitektur, Wahrnehmungsverschiebungen, blutigen Momenten und einer ätherischen Tonspur. „Locarno 13: L’ETRANGE COULEUR DES LARMES DE TON CORPS von Hélène Cattet und Bruno Forzani“ weiterlesen

Locarno 13: TONNERRE von Guillaume Brac

Wenn man einfach von der Synopsis im Locarneser Katalog ausgeht, dann wäre dieser Film das komplimentierenden Gegenstück zum 0815-Melodrama Une autre vie, der ebenfalls im Wettbewerb läuft. Statt einer reichen schönen Pianistin, welche sich in einen armen aufrechten Elektriker verliebt, haben wir dieses Mal einen etwas abgehalfterten französischen Rockmusiker, der einer 21jährigen verfällt.

Allerdings rührt Guillaume Brac nicht mit der Kelle des Drehbuchlehrgangs für Fernseh-Anfänger an wie sein Kollege Mouret, sondern mit skurrilem Realismus. Nicht ganz auf der Höhe der Brüder Dardenne, aber doch trist genug, dass man dankbar ist für jede der anfänglich sehr dicht gestreuten Erheiterungen. „Locarno 13: TONNERRE von Guillaume Brac“ weiterlesen

Locarno 13: TABLEAU NOIR von Yves Yersin

Von Yves Yersin stammte einer der ersten Dokumentarfilme, die mich in meiner Schulzeit wirklich packten: Die letzten Heimposamenter über die Schweizer Seidenbandweber, 1974. Und einer der schönsten und erfolgreichsten Schweizer Spielfilme der Siebzigerjahre: Les petites fugues (1979) mit Michel Robin als Bauernknecht Pipe, der auf seine alten Tage beginnt, die Welt zu erforschen – mit dem Mofa. Und danach kam nichts mehr von Yersin. Er unterrichtete, statt selber weiter zu filmen.

Darum ist das Sujet von Tableau noir, seinem neuen Dokumentarfilm im Wettbewerb von Locarno, auch so passend: Es geht um einen Lehrer, der an einer winzigen Gesamtschule in den Bergen des Jura die Kinder der Weiler unterrichtet – seit vierzig Jahren, bereits die dritte Generation. Das heisst, die Eltern seiner Schüler waren auch schon seine Schüler. Gilbert Hirschi ist das Herz und der Kopf der kleinen interkommunalen Schule. Und nun soll sie geschlossen werden. „Locarno 13: TABLEAU NOIR von Yves Yersin“ weiterlesen

Locarno 13: UNE AUTRE VIE von Emmanuel Mouret

Jasmine Trinca, Joey Starr
Jasmine Trinca, Joey Starr

Das ist nicht Mourets erster Film, mit L’art d’aimer war er 2011 auf der Piazza in Locarno und da hätte notfalls auch diese Schmonzette hingehört. Aber ganz sicher nicht in den Wettbewerb. Von der ersten Einstellung an wirkt der Film, als ob ein Drehbuchcomputer eine schlechte Rosamunde-Pilcher-Parodie autoverfilmt hätte.

Die schöne, reiche und unglückliche Pianistin Aurore (Jasmine Trinca) verliebt sich in den Elektriker, der im Haus ihres verstorbenen Vaters die Alarmanlage installiert. Der aber ist verheiratet mit seiner Kindheitsgespielin Dolorès (Virginie Ledoyen) und die setzt alles daran, ihn zu behalten.

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Locarno 13: SHORT TERM 12 von Destin Cretton

Brie Larson, Keith Stanfield
Brie Larson, Keith Stanfield

Auf einem hohen Energielevel einsteigen und dann nie mehr nachlassen. Das dürfte eine der Grundregeln sein, welche Destin Crettons Drehbuchlehrer seinem Schüler mitgegeben hat. Jedenfalls hat er das mit diesem, seinem zweiten Langfilm, mustergültig umgesetzt. Short Term 12 ist eine Auffangstation für unter 18jährige, für Verhaltensauffällige, Verstörte, Vereinsamte oder Abgestürtzte. Teamleiterin ist Grace, zwischen zwanzig und dreissig Jahre alt.

Zu Beginn des Films führt sie eben ein neues Teammitglied ein, den Studenten Nate, der hier eine Art Praktikum absolviert. Graces Freund und Kollege Mason erzählt mit Verve, wie er seinerzeit von einem Ausreisser so eingeschüchtert wurde, dass er sich in die Hose machte – eine Geschichte, die mittlerweile legendär zu sein scheint und auch unter den neuen Kids in Short Term 12 immer wieder die Runde macht. „Locarno 13: SHORT TERM 12 von Destin Cretton“ weiterlesen

Locarno 13: FEUCHTGEBIETE von David Wnendt

Carla Juri ist die hämorrhoidengeplagte Helen Memel © filmcoopi
Carla Juri ist die hämorrhoidengeplagte Helen Memel © filmcoopi

Feuchtgebiete – der Film, beginnt mit einer Publikumsverarschung. ganz wörtlich, ganz clever, ganz hübsch. Das ist vor allem darum erfreulich, weil man sich bloss zwanzig Sekunden davor über einen eingeblendeten bigotten Kommentar zum Buch von Charlotte Roche und der Überflüssigkeit seiner Verfilmung amüsiert hat. Der Film stellt damit gleich einmal klar, dass er nicht vor hat, uns einfach zu bedienen.

Natürlich tut er dann über weite Strecken trotzdem genau das. Aber das war nicht nur zu erwarten, das war auch fast zwingend notwendig. Wo Charlotte Roche beim Schreiben Tabus brechen und Grenzen überschreiten wollte, hat der Film, als Produktion für das grosse potentielle Publikum, welches die Debatte um den Roman erschlossen hat, die weitaus komplexere Auflage, nie zu weit zu gehen, und nicht allzu zurückhaltend zu wirken. Ein Job den Wnendt und sein Team mit Bravour bewältigen. „Locarno 13: FEUCHTGEBIETE von David Wnendt“ weiterlesen