Duisburg 13: ANDERE WELT von Christa Pfafferott

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Dass Christa Pfafferott überhaupt die Bewilligung bekam, in einer geschlossenen Klinik für forensische Psychiatrie zu drehen, lag daran, dass sie schon mal dagewesen war. Nicht als Patientin, nicht als Pflegerin, sondern als Fotografin für das Magazin der süddeutschen Zeitung. Eine Beobachtung hatte es ihr angetan: In jedem Patienten-/Insassenzimmer gab es das gleiche Gestell über dem Bett. Aber jedes war natürlich anders belegt.

Ihr Film nun zeigt tatsächlich eine andere Welt, ganz zu Beginn schon repräsentiert durch den doppelt verschobenen Titelschriftzug. Und dann immer wieder durch surreal wirkende Aufnahmen durch das kalte Auge der hunderten von Überwachungskameras im weitläufigen Komplex. Eine Zuschauerin in Duisburg meinte gestern, der Film, der sich auf drei Frauen vom Personal und drei Insassinnen konzentriert, zeige eigentlich bloss Betroffene, spare das System dahinter aus. Das trifft zu und ist doch Unsinn.

Es trifft zu, dass die Wärterinnen/Pflegerinnen genauso unter Beobachtung stehen wie die Insassinnen. Sie sind vielen Regeln unterworfen und können im Umgang mit ihren Pflegebefohlenen nur wenige Entscheidungen selbst treffen, etwa wenn es darum geht, eine Frau auf dem Bett festzubinden, damit sie keinen Schaden an sich selbst oder anderen anrichten kann.

Und es trifft ganz klar zu, dass die Frauen, welche hier einsitzen, auf unbestimmte Zeit, den begutachtenden Ärzten ausgeliefert sind. Aber diese Ärzte müssen nicht ins Bild, unsere Gesellschaft, welche solche Verwahrungsanstalten auch zu ihrem eigenen Schutz errichtet hat, muss nicht in den Film. Wir sind vom ersten Bild an mitgemeint.

Da kommt eine Pflegerin zum Arbeitsbeginn. Schon am Eingang zum Komplex geht die rigorose Kontrolle los: Fingerabdruckscanner, Badge, Schlüssel hinterlegen und dann der Retina-Scanner. „Blicken sie auf das Blaue Licht“ fordert eine Computerstimme. Und dann muss ungeblinzelt geblickt werden, bis die Maschine zufrieden ist. Abgesehen davon, dass Das blaue Licht ein Leni-Riefenstahl-Film von 1932 ist, könnte der Computer genauso gut murmeln „Du musst Mabuse werden“, der Effekt wäre nicht minder surreal und irrwitzig.

Andere Welt muss das System hinter der Anstalt nicht erklären. Das tun einerseits die eingesperrten Frauen, von denen eine rundheraus behauptet, man wolle sie zur „Systemwärterin“ umpolen, das werde aber nicht gelingen, und andererseits die Situation selbst. Die Zwanzigjährige, welche immer und immer wieder versucht hat, sich umzubringen: Was machen wir mit ihr?

Das Verblüffendste an diesem Film sind seine Auslassungen. Wer immer sich an Jack Nicholson in Milos Formans One Flew Over the Cuckoo’s Nest erinnert, hat den Konflikt zwischen Patienten und Aufpassern vor Augen. Und wenn eine der Pflegerinnen meint, sie würde es nicht aushalten in der Zelle, sie würde den ganzen Tag randalieren, dann spricht das für sich selber.

Die Andere Welt von Christa Pfafferotts Film ist gar nicht so anders. Die Zwänge sind einfach unmittelbarer, direkter und persönlich einschneidender. Aber weil es sich bei den Sicherheitsverwahrten um Frauen handelt, dauert es eine ganze Weile, bis einem die aktuellen Schweizer Diskussionen um weggesperrte Straftäter in den Sinn kommen.

Andere Welt Christa Pfafferott
Christa Pfafferott

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