Die Unverpassbaren, Woche 45 – 2013

Camille Rutherford als Mary Stuart © pathé
Camille Rutherford als Mary Stuart © pathé

Erst diese fünf Filme sehen, dann alle anderen.

  1. Mary Queen of Scots von Thomas Imbach. Ein Historienfilm, der seine durchtrainierte Kargheit mit Intelligenz und Schönheit zum Fliegen bringt.
  2. Les grandes ondes von Lionel Baier. Der Westschweizer kombiniert Radionostalgie, Schweizer Politik und Nelkenrevolution zu einer satten komödiantischen Charmbombe.
  3. La religieuse von Guillaume Nicloux. Eine erstaunlich moderne Neuverfilmung von Diderots Zwangsnonnengeschichte aus dem 18. Jahrhundert. Mit einer Isabelle Huppert, welche die Nunsploitation der 70er Jahre das Fürchten lehrt.
  4. Die Reise zum sichersten Ort der Erde von Edgar Hagen. Eine Expedition durch einen kollektiven Alptraum nennt der Basler seinen Dokumentarfilm über die globale Suche nach Endlagern für Atommüll. Aufwachen erwünscht.
  5. Am Hang von Markus Imboden. Der Bestseller von Markus Werner als filmischer Gegenentwurf: Mehr Duell, mehr Krimi, mehr balzende Gockel – und mittendrin sehr souverän Martina Gedeck.

Im Filmpodcast morgen mehr.

Duisburg 13: SIENIAWKA von Marcin Malaszczak

SIENIAWKA

Der Power-Ranger in der weissen Unterwäsche steht am geleiteten Abgrund, am Anfang dieses Films, der abträgt, indem er aufträgt. Am Ende des Films begegnen wir ihm wieder, dann ist aber der Schluss der Anfang. Am Anfang des Anfangs deponieren zwei Männer einen in rosa Tuch eingewickelten Menschen vor einer Tür und verschwinden schnell wieder.

Marcin Malaszczak hat in Polen gefilmt, seinem Herkunftsland, in der Ortschaft Siniewka, und dort vor allem in und um das „Krankenhaus für die Behandlung von Geistes- und Nervenkrankheiten und Alkoholismus“. Dass diese Anstalt 1964 gegründet wurde, auf dem Gelände eines einstigen Nazi-Arbeitslagers, das erfahren wir aus dem Katalog, nicht aus dem Film. Malaszczak hat nicht die Absicht, uns mit Fakten zu füttern. „Duisburg 13: SIENIAWKA von Marcin Malaszczak“ weiterlesen

Duisburg 13: NELLA FANTASIA von Lukas Marxt

Nella Fantasia

Die Bohrinsel ist ein Unort, eine Raumstation in lebensfeindlicher Umgebung, ein rostendes Imageproblem. Eine Bohrinsel ist ein Risiko. Ein Arbeitsort für Durcharbeiter und Durchdiener, für Menschen, die ihre Arbeit nicht zum Vergnügen machen. Zwölf Stunden Arbeit, zwölf Stunden Schlaf und Erholung. Dafür gibt es Fitnessraum und Squashhalle, Angelplatz und Tonstudio.

Der Mann im Tonstudio auf der Bohrinsel singt eine Arie. Vom Filmtitel her wissen wir, sie kommt aus der Phantasie, Nella Fantasia. Im Abspann des Films erfahren wir, sie stammt von Ennio Morricone. Aber all das, was oben aufgezählt wurde, das wissen wir nicht aus dem Film. Das hat uns Lukas Marxt nach der Sichtung erzählt. „Duisburg 13: NELLA FANTASIA von Lukas Marxt“ weiterlesen

Duisburg 13: ANDERE WELT von Christa Pfafferott

Andere Welt_sRGB

Dass Christa Pfafferott überhaupt die Bewilligung bekam, in einer geschlossenen Klinik für forensische Psychiatrie zu drehen, lag daran, dass sie schon mal dagewesen war. Nicht als Patientin, nicht als Pflegerin, sondern als Fotografin für das Magazin der süddeutschen Zeitung. Eine Beobachtung hatte es ihr angetan: In jedem Patienten-/Insassenzimmer gab es das gleiche Gestell über dem Bett. Aber jedes war natürlich anders belegt.

Ihr Film nun zeigt tatsächlich eine andere Welt, ganz zu Beginn schon repräsentiert durch den doppelt verschobenen Titelschriftzug. Und dann immer wieder durch surreal wirkende Aufnahmen durch das kalte Auge der hunderten von Überwachungskameras im weitläufigen Komplex. Eine Zuschauerin in Duisburg meinte gestern, der Film, der sich auf drei Frauen vom Personal und drei Insassinnen konzentriert, zeige eigentlich bloss Betroffene, spare das System dahinter aus. Das trifft zu und ist doch Unsinn.

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Duisburg 13: ICH BIN HIER von Eleni Ampelakiotou

Vielleicht zeichnet gerade das den jungen Hamdy aus: Dass er immer hier ist. Sei das auf der Strasse, in seiner Wohnung, oder eben im Gefängnis, wo er wieder mal einsitzt, gerade als die Dreharbeiten zum Film über ihn beginnen sollen. Eleni Ampelakiotou versucht, Hamdys Präsenz in ihrer Wahrnehmung zu fassen, in ihren Bildern und Repräsentationen. Da genüge seine typische Gestik, zum Beispiel, sagt sie in Duisburg.

Ich bin hier ist so etwas wie ein impressionistischer Dokumentarfilm, ein saugender Bilderrausch als Repräsentation eines vagen Lebensgefühls. Klassisch dokumentarisch ist daran allenfalls der Off-Kommentar von Hamdy, seine Stimme, die erzählt von seinen Träumen, seiner kleinen Tochter, die er kaum je sieht, seiner Unlust, sich institutionell erziehen zu lassen. „Duisburg 13: ICH BIN HIER von Eleni Ampelakiotou“ weiterlesen

Duisburg 13: FAR’FALASTIN von Max Sänger

far falastin

Acht Minuten Plansequenz in Schwarzweiss, ein palästinensischer Hirte lässt Schafe aus improvisierten Umhagungen, zieht mit der Herde in die karge Landschaft hinaus. Wir sind in Area C im israelischen Siedlungsgebiet, aber der Gestus des Films beschwört die ethnographischen Klassiker, die Kamera blickt einer alten Frau ins zerfurchte Gesicht.

Der Filmemacher Max Sänger (Jahrgang 1987) hat bei den Menschen gelebt, in Susya, dem Dorf, von dem sie alle erzählen – vor allem, dass es nicht mehr existiert, dass mit den israelischen Siedlern die Soldaten kamen und die Höhlenbehausungen und überhaupt alles plattgemacht hätten.

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Duisburg 13: SCHLAGERSTAR von Marco Antoniazzi und Robert Stadlober

Marc Pircher Photoshooting
Marc Pircher Photoshooting

Aus Österreich kommt der Film, mit dem die diesjährige Duisburger Filmwoche gestern Abend eröffnet wurde. Eine schöne Demonstration dafür, wie das aktuelle Filmwochen-Motto „im Bilde“ sich „im Kopfe“ festbeissen kann: Denn dauernd im Bild ist in Schlagerstar der Zillertaler Unterhaltungsmusikstar Marc Pircher, nie im Bild sind die beiden Filmemacher, und gelegentlich im Bilde sind wir als Zuschauer, wenn uns gerade wieder ein Licht aufgegangen ist.

Der Dokumentarfilm der beiden Österreicher definiert sich zunächst einmal über all das, was er nicht sein möchte: Kein Star-Portrait. Kein Film über den Menschen hinter der Fassade. Kein postmodernes Ironie-Fest. Stattdessen folgt die Kamera einfach dem Turbo-Alltag eines getriebenen Kleinunternehmers der Selbstvermarktung.
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Kurzfilmtage Winterthur: Talkrunde

Im Angebot: 'Old Man' von Leah Shore (USA 2012) Paranoia II © kurzfilmtage
Im Angebot: ‚Old Man‘ von Leah Shore (USA 2012) Paranoia II © Kurzfilmtage

Am nächsten Dienstag beginnt die diesjährige Ausgabe der Winterthurer Kurzfilmtage. Das Festival für die starken Kurzen und die grossen Kleinen zieht jedes Jahr ein treues und wachsendes Publikum an. Und dies in Zeiten, in denen wir alle längst unsere eigenen Kurzfilm-Kuratoren geworden sind: Die Links versenden wir fast täglich. Aber der kleine Lacher am PC kommt eben doch nicht an gegen das Kinoerlebnis mit Gleichgesinnten. Was den Kurzfilm sonst noch auszeichnet, und wo er sich zur Zeit befindet, das hat Eric Facon mit der Filmwissenschaftlerin Marcy Goldberg und der Fantoche-Leiterin Annette Schindler diskutiert, in seinem Kulturstammtisch: „Kurzfilmtage Winterthur: Talkrunde“ weiterlesen

Filmpodcast Nr. 360:
Les grandes ondes, La religieuse, Die Reise zum sichersten Ort der Erde, Federico Fellini.

'La religieuse': Pauline Etienne, Isabelle Huppert © frenetic
‚La religieuse‘: Pauline Etienne, Isabelle Huppert © frenetic

Kino im Kopf mit Michael Sennhauser. Heute feiern wie die charmante Komödie des Westschweizer Filmemachers Lionel Baier: Les grandes ondes – Die grossen Wellen. Wir leiden mit einer 17jährigen Nonne im 18. Jahrhundert in La religieuse. Und wir begeben uns mit dem Basler Dokumentarfilmer Edgar Hagen auf Die Reise zum sichersten Ort der Erde auf der Suche nach dem ultimativen Atommüllendlager. Schliesslich lassen wir zu seinem 20. Todestag Federico Fellini hochleben. Und wir liefern die beliebten Kurztipps und eine ganz unmögliche Tonspur.

Hören:

Saugen: Filmpodcast Nr. 360 (Rechtsklick für Download)


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