Mit einem schiefernden Geräusch auf der Tonspur fängt es an. Dann kommen die Beine ins Bild, die Stiefel, welche einen Kiesel über die nasse Strasse kicken. Eigentlich habe alles schon viel früher angefangen, stösst die Erzählerstimme dazu. Und dann: Zigarette anzünden, das Gesicht von Marcus Signer wird farbig erleuchtet, ein kurzer Blick in die Kamera, und eine Slide Guitar beginnt zu singen.
Ein traumhafter Anfang für die Verfilmung eines Romans, die eigentlich gar nicht hätte gelingen dürfen. Ein paar Bilder, Sätze, Töne und man ist drin.
Pedro Lenz‘ Mundartroman mit seinem lakonisch-poetischen Ich-Erzähler hängt so stark im Ohr, geht so satt in den Kopf, dass die Bilder da drin eigentlich bleiben müssten, dass ihnen kein Schauspieler und keine Kamera gerecht werden dürften – zumal Lenz mit temporären Vor- Rück- und Zwischenblenden arbeitet, welche für jeden Drehbuchautor und seinen Script-Doktor eine Eiger Nordwand darstellen.
Sabine Boss und ihre Ko-Autorin Jasmine Hoch haben die Bezwingung gar nicht erst versucht. Oder vielleicht doch, aber sicher nicht lange. Und da der Autor ebenfalls in den Credits auftaucht, kann man davon ausgehen, dass er eine grosse Hilfe war – vielleicht. Wir werden ihn fragen müssen. Denn die chronologischen Schachtelungen des Buches wurden einfach alexandrinisch eingeplättet: Auftakt in der filmischen Gegenwart, Rückblende in die Kindheit, Beginn beim Beginn des Roman-Plots, der Geschichte, wie es kam, dass der Goalie genannte Ich-Erzähler von seinen eigenen Freunden…. eben ja.
Das Erstaunliche an dieser gelungenen Verfilmung ist, dass sie sich in der Erinnerung problemlos dem Roman unterwirft: Da wird zwar die Kerngeschichte, diese Kleinstadt-Drogen-Knast-Story, mehr oder weniger chronologisch aufgefädelt, und all das, was der Roman Schicht für Schicht enthüllt, wird der leisen Empörung des Publikums von Anfang an vorgeworfen. Aber beinahe jede Einstellung landet punktgenau auf den Erinnerungsbildern, welche die Lektüre (oder das Hörbuch) im Kopf hinterlassen hat.
Das ist ein melancholisches Vergnügen, eine tragikomische Lust, im Kino zu sitzen und diesen Figuren nicht nur zuzusehen, sondern auch zuzuhören. Ich habe keine Ahnung, wie der Film bei jemandem ankommt, der das Buch nicht kennt. Beziehungsweise: Ich habe miterlebt, wie er ankommt. Stark und schön und traurig nämlich. Ich kann bloss nicht nachvollziehen, wie sich der Film in einem nicht vom Buch vorgepflügten Kopf denn so setzen wird. Heftiger? Leichter? Weniger nachbrummend?
Es spielt keine Rolle, weil der Film auch für sich genommen offensichtlich funktioniert. Manches daran ist deutlich weniger subtil als vorgegeben. Der Freund der Serviertochter Regula (Sonja Riesen) wird so schnell als „Hanspeter“ (Züri West Hörerinnen erkennen ihn, alle anderen dürfen sich ein alltägliches Arschloch vorstellen) eingeführt, dass die Figur Regula eigentlich desavouiert dasteht, nur schon weil sie mit dem zusammen lebt. Andere Figuren gewinnen gar an Tiefe, wie der Bankangestellte, der dem Goalie eigentlich noch was schuldig wäre, oder der Polizist, der irgendwie der einzige wahre Freund … aber lassen wir das.
Autor Pedro Lenz selber hat übrigens seinen Auftritt nach gerade mal fünfeinhalb Minuten. Er spielt jenen Franzosen, mit dessen Erscheinen das ganze Elend des Helden… aber lassen wir das. Es genügt zu wissen, dass der Autor am Elend seiner Figur mitschuldig ist und sich über die Dreharbeiten zumindest indirekt dazu bekennt.
Von Sabine Boss kennt man vor allem funktional effiziente deutschschweizerische Komödien wie das Giaccobbo-Vehikel Ernstfall in Havanna oder das Kornkreis-Garn Das Geheimnis von Murk, welche keinen Zweifel daran liessen, dass da eine exzellente Handwerkerin werkt. Aber mit diesem Goalie macht Sabine Boss unmissverständlich klar, dass auch bei ihr Herz, Verstand und Können durchaus flugtauglich kombinierbar sind.
Es gälte nun noch, der Freude über das Spiel von Marcus Signer Ausdruck zu verleihen. Und der Begeisterug über die liebevolle 80er-Jahre Provinz-Ausstattung, die einen glücklich in ein nostalgisch brütendes heulendes Elend stürzen könnte. Aber davon soll sich doch bitte jede und jeder selber überzeugen. Und liebe Kinder: Die 80er Jahre, die waren wirklich so. Nicht nur, aber auch.