Rüpel im Rollstuhl, ein überraschend wirkungsvolles Konzept für einen Film. Stefan Hillebrand und Oliver Paulus, seit Jahren mehrheitlich gemeinsam tätig, nehmen den Schongang aus der filmischen Weichspülmaschine raus und setzen darauf, dass ein Film mit Behinderten nur dann nicht herablassend sein kann, wenn den Protagonisten zumindest theoretisch die gleiche Handlungsfreiheit zusteht wie allen anderen Figuren.
Der von Joel Basman gespielte Valentin findet sich nach einem Snowboardunfall querschnittgelähmt im Rollstuhl wieder. Seine Wut darüber lässt er an seiner Umgebung aus, auch und gerade an den anderen Behinderten im Südtiroler Reha-Zentrum. Die allerdings waren wohl allesamt schon an dem Punkt und reagieren mit überraschendem Gleichmut auf das Ekelpaket. Bis Valentin merkt, dass er in den „Spastis“ loyale und humorvolle Verbündete gefunden hat, gegen die Zumutungen des Alltags.
Es ist ein schmaler Grad zwischen Mitleid, Solidarität und menschlicher Offenheit, und keine Szene offenbart dies besser als die stärkste Sequenz des Films, der Moment, in dem die drei Rollstuhlfahrer die Sau rauslassen: In der dichtbegangenen Fussgängerzone zwischen den Lauben Merans fahren sie den Leuten von hinten an die Beine. Und die Reaktion ist immer die gleiche: Männer wie Frauen drehen sich voller Wut und Empörung um, sehen den Rollstuhlfahrer und fallen in sich zusammen. Die meisten entschuldigen sich auf der Stelle und sehr gestenreich dafür, dass sie im Weg gewesen sind.
Das ist nicht nur eine schlagende Vorführung jener emotionalen Verunsicherung die wir alle kennen, es ist auch eine momentane Umkehrung der Machtverhältnisse: Die „Validen“ bitten die „Invaliden“ um Entschuldigung für ihre lästige Anwesenheit.
Hillebrand und Paulus haben zwei dramaturgische Improvisationskonzepte mit der Standardmechanik der romantischen Komödie verschmolzen. Da ist einerseits auf der Produktionsebene die Improvisation und Drehbuchentwicklung mit den Behinderten zusammen, und andererseits die Arbeit eines begeisterten italienischen Theaterpädagogen im Film, der im Reha-Zentrum mit den zum Teil körperlich, zum Teil geistig Behinderten eine irre Hamlet-Inszenierung entwickelt.
Dazu kommt die romantische Annäherung Valentins an eine hübsche junge Pflegerin, deren lästigen Freund die Rollstuhlgang im dramatischen Finale des Films mit einem veritablen Tankstellenüberfall demütigt.
Klar ist das alles konstruiert und in die standardisierte Tragikomödienmechanik eingepasst. Aber Stefan Hillebrand und Oliver Paulus setzen nicht auf sicher. Viele Szenen, angefangen bei jenen, die Valentin als verzweifeltes Ekel zeigen, bis zu den zwischen absurd und wirkungsvoll schwebenden Theaterimprovisationen mit dem pompös-benevolenten Maestro, bei dem schliesslich das Theaterblut doch stärker ist als der pädagogische Impetus, gehen an die Schmerzgrenze.
Der Höhepunkt, der emotional wohl vorbereitete, völlig absurde Überfall der Rollstuhlfahrer auf den Tankstellenshop, ist dann wirklich die übersteigerte Variante des Rüpelspiels in der Fussgängerzone. Die kurzfristige Umkehrung der Machtverhältnisse (die im Prinzip jedem bewaffneten Überfall zugrunde liegt) wirkt vor allem darum so urkomisch und befreiend, weil klar ist, dass keine Chance auf eine erfolgreiche Flucht besteht. Und die recht realistische und trotzdem witzige Auflösung der Situation bietet gleich noch einen weiteren Höhepunkt.
Vielen Dank für Nichts ist ein anarchisch-witziger Aufsteller von einem Film und als Komödie der Beweis dafür, dass man auch innerhalb der Genrerestriktionen Freiräume öffnen kann, durch Zuhören, Hinschauen und vor allem Kooperieren.