SFT 14: TINO – FROZEN ANGEL von Adrian Winkler

Matin 'Tino' Schippert © xenix
Matin ‚Tino‘ Schippert © xenix

Martin ‚Tino‘ Schippert, der legendäre erste Boss der Zürcher Hell’s Angels, ist zweifellos eine faszinierende Figur. Willi Wottreng hat seine Geschichte 2002 im Buch Tino – König des Untergrunds. Die wilden Jahre der Halbstarken und Rocker rekonstruirt. Und jetzt hat der Videojournalist und Filmemacher Adrian Winkler sein über Jahre zusammengetragenes Material zu einem Dokumentarfilm verdichtet. Man erfährt einiges über den zornigen jungen Mann, der erst bei der Schweizer Marine auf dem Rhein anheuerte, ein Töffli klaute und über erste Knasterfahrung schliesslich im Kreise gleichgesinnter Proto-Rocker in Zürich eine Karriere als Berufsrebell machte.

Sein im Film immer wieder beschworenes Charisma führte ihn in Gesprächsrunden mit Friedrich Dürrenmatt und Sergius Golowin, bei den Globus-Krawallen spannten die linken Aktivisten mit den kampferprobten Rockern zusammen, die Hell’s Angels wurden zu einem Medienphänomen, dem sie schliesslich selber erlagen. Und Tino flüchtete vor zunehmender staatlicher Repression schliesslich nach Südamerika, wo er zwischen Flucht, Gefängnis und Dschungel schliesslich unter einem Mangobaum frühzeitig starb.

Das Material, welches Adrian Winkler zusammengetragen hat, illustriert die Geschichte des Mannes und seiner Zeit ganz gut. Die Zeitzeugen, die er vor die Kamera brachte, allen voran Tinos Bruder und zwei der Frauen aus seinem Leben, tragen auch das ihrige dazu bei, ein plastisches Bild eines offensichtlich geselligen und kontaktfreudigen Aussenseiters zu zeichnen. Aber vom rundum betonten Charisma dieses gefrorenen Engels ist im Film wenig bis nichts zu spüren.

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‚Frozen Angel‘ war Schipperts Rockername, angeblich, weil er stoisch durch Schnee und Eis auf dem Motorrad zu seiner Geliebten gefahren sei, mit Eiszapfen im Bart und steifen Händen am Lenker. Und die Poesie des Namens passt auch durchaus zum Bild, das seine damalige Umgebung von ihm zu zeichnen versucht.

In den wenigen Filmaufnahmen in denen man ihn reden hört, kommen seine Sätze allerdings kaum über pupertäre Freiheitsphrasen hinaus, und wenn eine seiner einstigen Freundinnen heute lachend sagt, die Zeiten seien eben damals doch deutlich einfacher gewesen, dann wirkt das überzeugender als die meisten postumen Stilisierungen Tinos.

Adrian Winkler hat über Jahre mit dem Material und dem Projekt gekämpft, nicht zuletzt mit Finanzierungsproblemen. Man merkt dem fertigen Dokumentarfilm sowohl den Wunsch nach einer flüssigen Form wie auch die Kämpfe an. Sowohl die Musik von ‚Roy and the Devil’s Motorcycle‘ wie auch die Titelsequenz mit der nächtlichen Schneefahrt entpuppen sich eher als falsche Versprechen denn als tragende Gestaltungselemente.

Winkler machte nach der Premiere in Solothurn keinen Hehl aus seiner Begeisterung für den Stoff und das Material, aber auch kein Geheimnis aus dem Umstand, dass er schliesslich mit dem Material arbeiten musste, das ihm zur Verfügung stand. So hat er Aufnahmen aus jenem bolivianischen Gefängnis, welches für Tino den Anfang vom Ende bedeutete, eingekauft von einem Team, dem der Zutritt im Gegensatz zu ihm gewährt wurde. Und die besten dokumentarischen Sequenzen im Film stammen aus bestehenden Dokumentarfilmen.

Adrian Winkler hat aber auch Filmmaterial aufgetrieben, welches Willi Wottreng in seinem Buch erwähnt, das er aber nicht in die Finger bekam. Zum Beispiel einen Werbespot für eine Schweizer Zigarettenmarke mit echten Hell’s Angels als zigarettenraubenden Wegelagern auf einem Alpenpass. Eine urkomische Peinlichkeit, welche perfekt illustriert, wie sehr die Hell’s Angels offenbar ihrem eigenen medialen Image erlegen waren. Dazu gehört auch die Sequenz aus der Zürcher Erwin C. Dietrich Produktion Ich, ein Groupie von 1970, in welcher ein paar echte Hell’s Angels die nackte Ingrid Steeger aus einem See fischen und vergewaltigen.

Dieser Teil des Films, die Analyse und Rekapitulation des medialen Aufstiegs der Zürcher Rocker, funktioniert am besten, während die Aufnahmen aus Südamerika auf den Spuren Tinos ziemlich auseinanderfallen.

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Tino – Frozen Angel ist vor allem eine durchaus reichhaltige Materialsammlung. In Montage und erzählerischer Dramaturgie verliert der Film dagegen des öfteren den Drive und ersetzt ihn durch die teils nostalgisch verklärten Erinnerungen von Tinos alternden Zeitgenossen, die ganz offensichtlich nicht nur um Tino trauern, sondern auch um den damaligen vagen Traum von einer wilden Freiheit jenseits des vielgeschmähten Füdlibürgertums.

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