Präzise wie ein Uhrwerk bringen die Frères Dardenne alle drei Jahre einen neuen Film an die Croisette. Mit Rosetta gewannen sie 1999 ihre erste goldene Palme, mit L’enfant 2005 die zweite und mit ihrem jüngsten Werk haben sie haben sie nun ganz real die Chance, als erste überhaupt in Cannes eine dritte Palme abzuholen.
Deux jours, une nuit ist in jeder Beziehung ein Dardenne-Film: Dokumentarisch präzise, dramaturgisch auf das absolute Minimum reduziert, durchs Band weg perfekt besetzt mit Laien und mit Profis, angesiedelt mitten im harten Leben der arbeitenden Mehrheit. Aber etwas ist anders: Zum ersten Mal haben die Dardenne-Brüder hier so etwas wie ein High Concept Movie versucht, einen jener Filme, deren Grundkonflikt sich in einem Satz beschreiben lässt – oder gar in einem Titel wie Snakes on a Plane oder ConAir.
Also: Marion Cotillard spielt die Arbeiterin Sandra, deren Boss die Belegschaft darüber abstimmen lässt, ob sie alle auf ihren Jahresbonus verzichten mögen, damit er Sandra nicht entlassen muss.
So weit, so simpel. Und die Dardennes behaupten, nicht einmal diesen Grundkonflikt hätten sie erfinden müssen. Im Film ist es dann natürlich noch ein wenig komplexer. Sandra hat sich eben erst von einer schweren Depression erholt und der Betriebsleiter hat während ihrer krankheitsbedingten Abwesenheit festgestellt, dass der Betrieb auch mit 17 statt mit 18 Angestellten aufrecht erhalten werden kann.
Weil aber offenbar der Vorarbeiter vor der Abstimmung gegen Sandra Stimmung gemacht hat, willigt der Chef ein, die Abstimmung zu wiederholen. Einen Samstag und einen Sonntag hat Sandra Zeit, die Kolleginnen und Kollegen einzeln aufzusuchen und sie zu überzeugen.
Als dramaturgische Anlage scheint das auf den ersten Blick fast schon Abzählvers-Charakter zu haben. Aber die Dardennes lassen nicht nur jede Begegnung absolut anders und überraschend ablaufen, sie sorgen auch dafür, dass es nicht einfach um einen Arbeitskonflikt und quasi-gewerkschaftliche Solidarität geht.
Denn Manu (Fabrizio Rongione) muss Sandra zuerst einmal davon überzeugen, dass sie die deprimierende Tour überhaupt in Angriff nimmt. Er weiss, dass es nicht um ihre Stelle geht, sondern um ihr Selbstwertgefühl.
In knackigen 95 Minuten spielt der Film alle möglichen Begegnungen durch, mit Rückschlägen, Feigheiten, Solidarität und unerwarteten neuen Konflikten, präzise und unerbittlich, wie immer bei den beiden Belgiern.
Marion Cotillard ist dabei absolut überzeugend. Keine Spur vom französischen Glamour, sogar ihre Schönheit spielt sie fast unmerklich weg.
Das ist packend wie eh und je, moralisch eindeutig, und nie verurteilend einzelnen Figuren gegenüber. Die Dardennes haben es einmal mehr geschafft, aus ihrer Methode und ihren Themen eine neue Variation heraus zu drehen. Und dabei haben sie sich auch noch höchst elegant ins Gewerkschafts- und Solidaritäts-Territorium von Ken Loach vorgewagt.