Eine mächtige und zeitlose Geschichte ist die Geschichte von Hiob. Und mächtig erzählt auch der Russe Zvyagintsev einmal mehr aus seiner Heimat – bloss nicht zeitlos. Denn im Heute findet sein Hiob das bodenlose Unglück. Und wir unser Russlandbild bestätigt.
Kolja heisst der rechtschaffene Mann (warum heissen sie immer Kolja?), der sich auf dem Land seiner Väter ein Haus gebaut hat und eine Autowerkstatt. Der da lebt, mit seiner schönen jungen zweiten Frau und seinem Sohn von der ersten, die verstorben ist.
Und Kolja ist der Mann, dem die korrupten Vertreter des Staates mit Unterstützung und Beifall der orthodoxen Priesterschaft alles nehmen wollen: Land und Haus und Werkstatt.
Kolja ruft seinen alten Armeefreund aus Moskau zu Hilfe, einen Anwalt, der auch mit den richtigen Informationen ankommt, und Druck ausübt auf den korrupten Bürgermeister. Aber das Unglück und das Böse sind stärker. Koljas Frau und der Anwalt können einander nicht widerstehen und landen im Hotelbett. Und kaum hat ihm der Freund dafür ein blaues Auge geschlagen, stehen auch schon die Gorillas des Bürgermeisters vor dem Hotel und holen den Mann aus Moskau ab zur Nachbehandlung.
Danach gibt es kein Halten mehr, der Anwalt reist ab, die Frau stürzt sich ins Meer und Kolja erliegt dem Wodka. Schliesslich wird er als Mörder seiner Frau ins Gefängnis gesteckt, und übrig bleibt nur noch sein Sohn.
Leviathan ist ein starker Film mit starken Bildern. Der Tonfall nähert sich oft der Komik, ohne die permanent zugrunde liegende Bedrohung dabei zu vernachlässigen. Und wenn der Film nun im russischen Untergrund entstanden wäre, heimlich und mit kleinem Budget, dann wären wir wohl sofort und fraglos bereit, die düstere Metaphorik vom korrupten Staat in Seilschaft mit einer wieder erstarkten Kirche zu goutieren. Mit Schaudern und Kopfnicken.
Aber der Film wurde gedreht mit Unterstützung der staatlichen Kulturförderung. Und jedem staats- und systemkritischen Bild steht ein anderes zur Seite, das die Verantwortung und die Korruption auf die Individuen umlenkt. Selbst eine satirische Köstlichkeit wie das Zielschiessen auf alte Potentatenphotos aus einer Amtsstube hört bei Gorbatschow auf, Yeltsin wird nur noch erwähnt. Und dass Putin im Büro des korrupten Bürgermeisters hängt, ist ja logisch.
Ich hege darum noch immer gemischte Gefühle diesem Leviathan gegenüber. Das ist unbestritten ein filmischer Wurf, eine wuchtig und konsequent umgesetzte Geschichte. Aber ihre Interpretation hängt dermassen auf Messers Schneide, dass man sich gut vorstellen könnte, dass die gezeigten Korrupten keine Probleme damit hätten.
Ob das nun ein cleveres Spiel mit der Zweideutigkeit ist, oder eine eben so mutige wie hoffnungslose Bilanz der russischen Zustände, ist ohne nähere Kenntnis nicht zu entscheiden.
Dass der Film als Kinoerlebnis aber gross ist, stark und eindrücklich, das lässt sich nicht bestreiten.