HOTELL von Lisa Langseth

Alicia Vikander in Hotell © filmcoopi
Alicia Vikander in ‚Hotell‘ © filmcoopi

Vor bald zwanzig Jahren liess Lars von Trier in Idioterne normale Menschen geistige Behinderung vortäuschen. Jetzt kehrt die Schwedin Lisa Langseth mit Hotell das Prinzip um. Bei ihr suchen die psychisch Angeschlagenen gemeinsam Heilung – indem sie Normalität nachspielen.

Innenarchitektin Erika hat ihr Leben im Griff. Beruf, Mann, Einkommen, alles nach Plan. Selbst der Termin für den Kaiserschnitt steht fix im Kalender. Aber dann passiert ihr eine Frühgeburt, das Kind ist behindert und Erika dreht durch. Keine Spur von Mutterliebe, sie kann das alles nicht akzeptieren.

Sie will ein anderes Leben, sagt sie. Aber damit kann niemand etwas anfangen, am wenigsten ihr Mann, der sich um das Kind kümmert.

Alicia Vikander in 'Hotell' © filmcoopi

Fast wie im Halbschlaf absolviert Erika ihre Gruppentherapie-Sitzungen. Bis eine andere junge Frau das Gleiche formuliert: Sie hätte gern ein anderes Leben … und zwei weitere Patienten stimmen ein. Ein Leben wie ein Hotel. Passt einem das Zimmer nicht, nimmt man sich ein anderes.

Und genau das versuchen sie dann. Die drei Frauen und zwei Männer buchen sich in verschiedene Hotels ein und spielen dort andere Leben.

Das ist manchmal komisch, etwa, wenn einer versucht, Schmerzen auszuhalten wie ein Maya-Indianer, und sich dafür von den anderen an Seilen strecken lässt. Bis er brüllt vor Schmerz – und sich dann wundert, dass sie aufhören.

Viel häufiger aber ist der Film beklemmend. Denn die ungeführten Therapie-Experimente welche die Fünf miteinander durchspielen, die gehen immer wieder über alle Grenzen der Vernunft hinaus.

Und genau darin liegt für einmal die grosse Stärke dieses Film: Er ist inkonsequent. Er führt nicht jeden Gedanken zur schlimmst möglichen Wendung. Regisseurin Lisa Langseth, die vom Theater kommt, nutzt die Szenen viel mehr als Startrampen und Versuchsorte.

Hotell © filmcoopi

Manches leuchtet ein, etwa wenn der Mann mit den Mutterkomplexen sich ausgerechnet von jener Erika bemuttern lässt, die darunter leidet, dass sie ihr unvollkommenes Muttersein nicht akzeptieren kann.

Anderes bleibt krude und bloss angedacht, zum Beispiel die Verneigung vor jenem anderen Dogma-Pionier-Film Festen, wenn sich die autotherapierende Fünferbande unter eine Hochzeitsgesellschaft mischt, oder für die einsame Perlina einen schnellen Sexpartner organisiert.

Aber alles in allem ist das ein mutiger Film, weil er genau das umarmt, was seine Heldin für nicht akzeptierbar hält: Die Unvollkommenheit.

Und falls Ihnen das alles noch nicht genügend sollte, um sofort ins Kino zu gehen, dann gehen Sie wegen der Hauptdarstellerin Alicia Vikander. Die fünfzwanzigjährige Schwedin ist nach ihren Rollen in Anna Karenina und A Royal Affair auf dem Sprung zum internationalen Star – es könnte lange dauern, bis wir sie wieder in einem derart rohen und faszinierend unperfekten Film zu sehen bekommen.

Regisseurin Lisa Langseth und Alicia Vikander © filmcoopi
Regisseurin Lisa Langseth und Alicia Vikander © filmcoopi

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