NIFFF 14: IT FOLLOWS von David Robert Mitchell

'It Follows' Jake Weary und Maika Monroe
‚It Follows‘ Jake Weary und Maika Monroe

Die Angst vor Sex treibt im amerikanischen Horrorfilm immer neue Blüten – und nicht alle sind so ironisch wie das rituelle Abschlachten hormonell gesteuerter Teenager in den vielen Genre-Variationen. It Follows ist so unironisch wie nur möglich und wurde gerade darum in Cannes schon vor seiner Premiere an der Kritikerwoche als Erneuerung des amerikanischen Horrorfilms gefeiert.

Das Drehbuch vereinigt geschickt ein paar klassische Horrormechanismen. Die 19jährige Jay ist eine vernünftige junge Frau mit einem verlässlichen Freundeskreis. Den freundlichen Hugh kennt sie schon eine Weile und nach ein paar Dates und einem abgebrochnen Kinobesuch lässt sie sich auf Sex im Auto ein. Ein paar Minuten darauf wird sie von dem jungen Mann mit Äther betäubt und findet sich alsbald gefesselt in einem Rollstuhl in einer alten Industriehalle wieder.

Hugh zeigt ihr dort, was ihn so handeln lässt: Nach dem Sex mit einer Unbekannten fühlte er sich verfolgt und stellte schnell fest, dass ein Phantom in wechselnder Gestalt langsam auf ihn zuging, immer wieder, an den verschiedensten Orten, auch in der Öffentlichkeit. Aber nur er konnte die Gestalt sehen, die ihm offensichtlich nach dem Leben trachtet.

It Follows Lili Sepe Maika Monroe
Lili Sepe, Maika Monroe

Schliesslich stellt sich heraus, dass es nur einen Weg gibt, den Fluch vielleicht los zu werden: So schnell wie möglich mit jemand anderem Sex haben und damit die Konsequenzen weitergeben. Allerdings hat auch das einen Haken: Wird der oder die Angesteckte vom Phantom umgebracht, geht es in der alten Konstellation weiter.

Was klingt wie eine Variante der bekannten Fluch-Filme, ist inszeniert wie ein absolut realistischer, zeitgenössischer Horrorfilm sein muss: Eingebettet in ein glaubwürdiges soziales Umfeld, mit intelligenten Figuren und realistischen Dialogen. Insofern funktioniert It Follows wie moderner japanischer Horror und hat erhebliches Schreckenspotential.

Wenn bloss diese Reduktion auf die schwerwiegenden Konsequenzen von Sex nicht wäre. Anders als Eric Englands ähnlich realistisch aufgebauter Contracted, der letztes Jahr hier am NIFFF im Wettbewerb lief, lässt sich It Follows kaum einfach als Parabel auf sexuell übertragene Krankheiten lesen. Zwar liesse das Prinzip des gezielten Weitergebens des Fluches noch eine Annäherung zu. Aber die Rückverfolgung der Kette nach dem Tod eines „Angesteckten“ macht das rein moralische Prinzip komplexer.

It Follows Maika Monroe
Maika Monroe als Jay

Warum lässt sich ein us-amerikanisches Publikum noch immer mit Sex erschrecken? Ist das puritanische Erbe dermassen stark, dass ewige Verdammnis noch immer als Konesquenz jeder sexuellen Aktivität ausserhalb der Ehe akzeptiert wird – allenfalls unterschwellig.

Ich hatte heute Gelegenheit zu einem Interview mit Kevin Smith, einem der Ehrengäste des diesjährigen NIFFF. Seit seinem frühen Erfolg mit Clerks war er immer am Puls der us-amerikanischen Popkultur, und er gehört zu den wenigen Regisseuren, welche Sex nicht nur selbstverständlich in ihre Filme bringen, er redet auch gerne und oft darüber – auch über die sexual politics zwischen Genderfragen und Homophobie. So war ich denn eher überrascht, dass er diese Verbindung von Horror und Sex viel eher bei der Genre-Tradition ansiedelt, als bei einer allfälligen aktuellen psychischen Konstellation der amerikanischen Gesellschaft. Die Bestrafung sexueller Aktivitäten im Horrorfilm stehe wohl schon in der puritanischen Tradition und gehe auf die Kinokonventionen der 50er Jahre zurück. Aber mittlerweile werde das doch vom Genrekino ausschliesslich ironisch abgehandelt, meint Smith, mit Verweis auf all die Teenie-Comedy-Slasher der letzten Jahre.

Ich bin mir dagegen keineswegs so sicher, ob die spürbare Generierung von „Straight Horror“ aus sexuell konnotierten Situationen nicht doch einem gesellschaftlichen Wandel entspringt. Vielleicht ist das alles eine Spur komplexer, als wir uns auf den ersten Blick eingestehen. Vielleicht ist das ja bereits Meta-Horror, eine Reaktion auf die erstarkten reaktionären Kräfte nicht nur in den USA, eine Reaktion auf die neue Homophobie auch.

Dann wäre der wahre Horror dieser Filme nicht die offensichtliche Drohung mit den Konsequenzen sexueller Aktivitäten, sondern die vordergründige Akzeptanz der resultierenden Verdammnis. Mit anderen Worten: Wie wäre es denn, wenn die von den fundamentalistischen Kräften propagierte Hölle tatsächlich existiert?

Der Schluss ist nicht so absurd wie er klingt, schliesslich ist die stärkste heimliche Angst jedes aufgeklärten Menschen, dass er sich täuschen könnte mit seinen Idealen. So gesehen ist der unironische Horror tatsächlich wieder mitten unter uns.

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