NIFFF 14: THE HARVEST von John McNaughton

'The Harvest' Michael Shannon
Michael Shannon in ‚The Harvest‘

Ein Mädchen, das zu seinen Grosseltern gezogen ist, weil es beide Eltern verloren hat, freundet sich mit dem kranken Jungen im eben so einsam gelegenen Nachbarshaus auf der anderen Bachseite an. Abgesehen davon, dass der Junge offenbar sein ganzes Leben in dem Haus verbracht hat, ohne Freunde, im Bett und im Rollstuhl, wirken auch seine Eltern überraschend abweisend.

Genrekino hat oft einen Kreuzworträtsel-Effekt: Man hält sich an die Regeln und füllt die Kästchen aus. John McNaughton macht keine Kreuzworträtsel. Mit Henry – Portrait of a Serial Killer hat er 1986 eher ein Genre begründet, mit Mad Dog and Glory (1993) zwei weitere parodistisch zusammengeführt und mit Wild Things schliesslich 1998 eine Art Sex-Krimi-Rubiks-Cube gebastelt, der in seiner frechen Konstruiertheit noch immer unübertroffen ist.

Charlie Tahan, Michael Shannon, Natasha Calis
Charlie Tahan, Michael Shannon, Natasha Calis

Dieses Mal erzählt er eine intimere Geschichte, eine Kindergeschichte eigentlich, welche moralische Grenzen auslotet, die es noch gar nicht so lange gibt. Man nähme dem Film einen Teil seiner Spannung, würde man mehr darüber verraten. Aber klar ist, dass McNaughton diesmal durchaus mit den Regeln spielt, auch mit den Bildern.

Wenn das Mädchen auf dem Dachboden die Baseballhandschuhe seines Vaters findet, ist das ein kurzer Ausflug in die Vergangenheit, eine positive Entdeckung, ein erfreulicher Teil der Vergangenheit. Dachböden sind so, im Genrekino. Der Keller dagegen, das ist immer eine andere Geschichte.

Und die wird hier auch erzählt, allerdings die Kellergeschichte des anderen Hauses. Und da treffen sich eben die bekannten Geschichten mit den neuen. Fehlende Eltern beim Mädchen, eine erstaunlich kalte, ja bösartige Mutter beim Jungen… Märchenmotive, realistisch umgesetzt und dann im letzten Filmdrittel sehr knapp und effektiv abgehandelt.

Samantha Morton, Charlie Tahan
Samantha Morton, Charlie Tahan

The Harvest baut über lange Zeit Stimmung auf und setzt dabei auch auf die Rollenvergangenheit seiner Schauspieler. Michael Shannon bringt alle seine Wahnsinnsrollen mit und setzt sich mit Eleganz darüber hinweg. Samantha Morton spielt dermassen klar gegen ihr Image, dass sie hin und wieder fast mechanisch wirkt und damit wirklich sehr befremdend.

Und Peter Fonda als liebevoller Grossvater, der einfach nicht an seine eigensinnige Enkelin herankommt, mag eine Chiffre bleiben, bekommt aber in zwei drei Szenen gehöriges Rührpotential. Etwa, als er das Mädchen nach dem Dachbodenfund der Baseballhandschuhe erfreut fragt, ob sie mit ihm ein paar Bälle werfen möge – und natürlich ohne Umschweife einen Korb bekommt. Den einstigen Easy Rider als enttäuschten Opa zu sehen, geht an die Nieren.

The Harvest hat am Filmfest in München ein paar eher harsche Kritiken eingefangen, die ich allerdings nur bedingt nachvollziehen kann. Das ist ein psychologischer Thriller mit einem Plot wie ein Theaterstück, der gerade darum sehr filmisch funktionert. McNaughton setzt auf Stimmung und vertraut zu recht darauf, dass die Genreelemente dabei helfen, ohne zwingend zu sein. Dafür verzichtet er aber fast überall auf das Katz- und Maus-Spiel, welches die Formel fordern würde – ein weiterer Pluspunkt.

Dass er im übrigen mit mehreren Perspektiven fährt, mit dem Blick des Mädchens, des Jungen und immer wieder auch mit der Perspektive der Figur von Michael Shannon, erzeugt eine emotionale Komplexität, die ebenfalls über die Genremechanik hinausgeht.

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