NIFFF 14: WHITE GOD (Fehér isten) von Kornél Mundruczó

Who Let the Dogs out? © Match Factory
Who Let the Dogs out? © Match Factory

Ungarn geht vor die Hunde. So einfach und direkt könnte man Kornél Mundruczós Film interpretieren. Aber zu dem Schluss könnte man ja auch kommen, ohne den Film zu sehen. Und das wäre dann wirklich blöd. Denn was der Regisseur von Delta hier mit einem jungen Mädchen und über zweihundert Hunden auf die Leinwand bringt, ist einzigartig.

Die vordergründige Story von White God ist simpel, eigentlich fast schon Lassie come Home: Ein Mädchen verliert seinen treuen Hund, weil sein Vater ihn am Stadtrand aussetzt: Hunde sind in seiner Wohnung nicht erlaubt. Nun sucht der Hund das Mädchen und das Mädchen den Hund. Der Hund allerdings durchlebt einen wahren Höllensturz und wird schliesslich zum Anführer einer blutigen Hunderevolution.

White God © Match Factory

Als Cannes-Chef Thierry Frémaux den Film letzten April für „Un Certain Regard“ ankündigte, geriet ihm der Titel zum „White Dog“ – ein verständlicher Fehler, angesichts der eigentlichen Hauptdarsteller. Zumal es White Dog als Film maudit auch gibt, von Sam Fuller, aus dem Jahr 1982. Nach einem Roman von Romain Gary drehte Fuller ein Melodrama über Rassismus, der titelgebend Hund war ein Tier, das darauf abgerichtet worden war, Schwarze anzugreifen – und dem ein afro-amerikanischer Hundetrainer genau das abzugewöhnen versucht. Eine drastische Rassismus-Parabel, welcher Paramount damals aus Angst vor einer entsprechenden Debatte den theatrical release, also den Kinostart, verweigerte.

Mundruczó dreht das Konzept um. Der White God ist bei ihm der Mensch. Und der Hund, der den Glauben an seinen Gott verliert, der wird gefährlich. Das ist ein Konzept, das sich völlig natürlich anfühlt und der Film entwickelt seine Geschichte auch so. Das Mädchen, das unter anderem in einem Orchester Trompete spielt, durchlebt dabei eine deutlich symbolkräftiger aufgeladene Serie von Abenteuern auf der Suche nach seinem Hund, als dieser.

Der Hund wird als Hund gezeigt, er erleidet ein nachvollziehbares Hundeschicksal in einem Land, in dem die Streuner zur Plage geworden sind und Hundekämpfe Alltag. Der Hund geht vor die Hunde. Und mit den Hunden wird er stark.

Götterdämmerung in 'White God' © Match Factory
Götterdämmerung in ‚White God‘ © Match Factory

Mundruczó hat mit einer professionellen Hundetrainerin gearbeitet, das Haupttier hatte drei bis vier Doubles für verschiedene Szenen, und am Ende des Films rast tatsächlich eine Meute von über zweihundert Tieren durch die verlassenen Strassen der Stadt. Das ist nicht nur rein logistisch und technisch ein atemberaubender Effekt. Die Szenen sind auch dermassen natürlich und logisch inszeniert, dass ich als Zuschauer gar nicht anders kann, als mich mitreissen zu lassen.

White God ist ein metaphorisch und symbolisch extrem aufgeladener Film, er manifestiert nicht zuletzt die westliche Angst vor den anstürmenden Underdogs der restlichen Welt. Aber auch die politische Lage Ungarns, die letztlich von der gleichen Angst beherrscht scheint. Dabei ist aber die symbolische Ebene nur ein Angebot unter vielen. Der Film selber funktioniert als Drama viel stärker, als man sich das in der ersten Stunde eingestehen mag und die letzten Einstellungen gehören zu den stärksten Momenten des Kinojahres 2014.

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