So kunstvoll und konsequent hat schon lange niemand mehr sein Publikum deprimiert wie der Taiwanese Hsiang Chienn mit diesem Erstling. Ling ist 45 Jahre alt und lebt in einer nicht mehr taufrischen Wohnung in einem Betonklotz. Ihr Mann ist geschäftlich unterwegs und sie erreicht, wenn überhaupt, nur seine Combox.
Lings Tochter bekommen wir einmal kurz zu sehen, sie ist zumindest nie gleichzeitig wie die Mutter zu Hause und hat für diese auch nur Augenrollen übrig. Ling fühlt sich nicht wohl und geht doch pflichtbewusst täglich ihre Schwiegermutter im Spital besuchen und pflegen. Im Bett gegenüber der alten Frau liegt ein bandagierter Mann im Koma, mit Augenbinden, Verbrennungen, Bein im Gips und mit einem permanenten Stöhnen und Röcheln.
Bis Ling ihm einmal etwas Wasser einflössen will, es verschüttet, und ihn dann mit einem Tuch zu trocknen versucht. Das Stöhnen hört auf, der Bewusstlose reagiert auf die Berührung. Fortan wird das heimliche Waschen dieses Mannes zum täglichen Höhe- und Ankerpunkt in Lings Leben. Bis der Mann aufwacht.
Es sind die alltäglichen kleinen Katastrophen in Lings Leben, welche ihre zunehmend verzweifelte Einsamkeit spürbar machen. Wenn sich die Tapete ablöst und sich auch mit Klebband nicht mehr fixieren lässt, wenn die Wohnungstür so kaputt ist, dass sich das Schloss nur noch mit Glück öffnen lässt, wenn sie über Nacht überraschend ihr Nachthemd verblutet, obwohl ihre Periode längere Zeit ausgeblieben ist.
Der Arzt vermutet Menopause aufgrund ihrer Müdigkeits- und Schwindelsymptome, und verschreibt ungerührt Pillen. Auf ihre entgeisterte Bemerkung, sie sei doch erst 45, erklärt er noch ungerührter, es könne auch noch jüngere treffen.
Der Film ist eine Art Gletschermühlen-Protokoll. Das einsame Leben von Ling ist nicht dann am schlimmsten, wenn sie ihre Stelle verliert, weil das Nähatelier schliesst, oder wenn sie einer Kollegin hilft, Schuhe zu verkaufen. Auch dann nicht, wenn sie einer anderen Frau ein Kleid anmisst und dabei tangotanzenden Paaren zuschaut.
Die Mühle mahlt am heftigsten dort, wo wir sie alle im Alltag auch empfinden: Wenn etwas kaputt geht in der Wohnung, wenn etwas klemmt. Wenn die Milch sauer ist und man es erst beim ersten Schluck bemerkt. Lings Leben besteht nur noch aus solchen Momenten.
Und die Kamera erfasst das mit aller Konsequenz und zugleich maximaler Zurückhaltung, ja, mit der gleichen Diskretion, welche es Ling schliesslich auch verbieten wird, sich dem endlich aufgewachten Koma-Patienten zu erkennen zu geben.
Am raffiniertesten aber spielt Chienn mit der Tonspur. Die ist häufig versetzt, der Ton nimmt die Anschlussszene vorweg, wir hören schon den Tango, oder das Stöhnen, bevor die Kamera am Ort angelangt ist, bevor der Schnitt den Ortswechsel vollzieht.
Und so fügt sich auch die eine oder andere (Alb-)Traumsequenz nahtlos in die filmische Zeit ein, der Fiebertraum der Verlorenheit reisst nicht ab.
In Barton Fink von den Coen-Brüdern wird das allmähliche Abgleiten des armen Drehbuchautors in den Wahnsinn visualisiert, indem die Tapeten im barock überladenen Hotelzimmer in der Hollywood-Hitze schwitzend die Wände herab gleiten, auf schleimigem Kleister. Was in Barton Fink als kurzer Ausdruck einer schrecklichen Stimmung in Erinnerung bleibt, ist die Essenz von Exit.
Man kann den Film, so man will, als fast wörtliche Visualisierung aller Menopausen-Ängste oder Midlife-Crisis Symptome sehen, und das funktioniert schon für sich genommen perfekt. Aber gleichzeitig ist das alles doch noch deutlich mehr. Seit Polanskis Repulsion hat kein Film mehr so konsequent das unausweichliche Grauen im Alltag gefunden und ausgehalten.
(67. Filmfestival Locarno, Concorso Cineasti del presente)