Locarno 14: SCHWEIZER HELDEN von Peter Luisi

Der Tell: Komi Mizrajim Togbonou als Punishment © frenetic
Der Tell: Komi Mizrajim Togbonou als Punishment © frenetic

Bevor der Tell überhaupt zum Apfelschuss kommt, wird er ausgeschafft. Das ist eine der etlichen wirklich gut sitzenden Pointen in Peter Luisis neuer Tragikomödie, einem Film, der daran erinnern will, wer unsere Helden sind.

Esther Gemsch spielt die leicht frustrierte sitzengelassene Hausfrau und Mutter Sabine, welche eher zufällig auf die Idee verfällt, mit den Asylbewerbern im Durchgangszentrum im Rahmen eines Beschäftigungsprogrammes einen Willhelm Tell zu inszenieren. Was sie dabei treibt, ist zunächst eher der Versuch, ihre verräterischen Freundinnen zu beeindrucken, als ein tieferes Verständnis für die Situation der Menschen im Durchgangszentrum.

Der Plot ist einfach, und er entstammt gemäss Peter Luisi der schweizerischen Wirklichkeit. Eine Bekannte von ihm sollte im Rahmen eines Integrationsprojektes eine psychodramatische Gruppe mit Flüchtlingen leiten und studierte mit den Leuten schliesslich eine Reduktionsvariante von Schillers Willhelm Tell ein. Das war vor Jahren, Luisis erste Drehbuchversion geht auf das Jahr 2002 zurück. Damals war Luisi 27 Jahre alt und hatte seinen ersten Erfolg Verflixt verliebt von 2004 noch vor sich.

Schweizer Helden © Frenetic
Schweizer Helden © Frenetic

Vielleicht hat es mit dem Alter des Drehbuchkonzepts und den dramatischen Veränderungen im Umgang der Schweiz mit Asylbewerbern zu tun, wenn einem diese Komödie heute im Grundton zu harmlos und zu versöhnlich erscheint, fast apolitisch bieder. Dabei ist es keineswegs so, dass Peter Luisi sich um die tragischen Aspekte herumzumogeln versucht, im Gegenteil: Es ist das Spiel mit den Kontrasten, das nicht so richtig funktionieren will.

Fröhlich wie seinerzeit Rolf Lyssys Grosserfolg Die Schweizermacher kommt Schweizer Helden daher, zu Beginn ähnlich satirisch-bieder situiert, aber schliesslich doch auch deutlich dunkler und heftiger unterfüttert: Luisi bricht die kabarettistische Komik mit ein paar wenigen sehr direkten und dramatischen Szenen.

Aylin Maurer als Shirin © Frenetic
Aylin Maurer als Shirin © Frenetic

Für sich genommen erfüllen die ihre Funktion, die paar heftigen Zugriffe der Polizei auf einzelne abgewiesene Asylbewerber im Durchgangszentrum wirken schockierend. Die wütende, frustrierte Aussage des Zentrumsleiters Hans-Jakob (Kamli Krejci), dass Integration im Prinzip zu vermeiden sei, um die eventuelle Ausschaffung nicht zu erschweren, kommt überraschend und schneidend.

Uygar Tamer, Tsering Bokong, Esther Gemsch © Frenetic
Uygar Tamer, Tsering Bokong, Esther Gemsch © Frenetic

Aber all dem gegenüber steht die Skilager-Atmosphäre innerhalb der bunt gemischten Menschengruppe im Heim. Jede der von professionellen und zum Teil absolut hinreissenden Schauspielerinnen und Schauspielern verkörperten Figuren wächst einem ans Herz, selbst der als Katalysator eingebaute Ekelbolzen, der zunächst alle Bemühungen von Sabine und den Heimbewohnerinnen und -Bewohnern mit Hohn und Spott beobachtet.

Esther Gemsch und Klaus Wildbolz © Frenetic
Esther Gemsch und Klaus Wildbolz © Frenetic

Natürlich ist das ein Teil des Konzeptes. Und natürlich werden auch Konflikte unter den frustrierten und verängstigten Bewohnern aus aller Welt angedeutet. Aber das Zusammenwachsen zu einer grossen Familie wirkt dann doch zu herzerfreuend, da helfen auch die paar bitteren Abschiede nicht über ein Gefühl von falscher Binnenharmonie hinweg.

Das grösste Problem in der Konstellation ist aber wohl die biedere Zeichnung der Schweizerinnen und Schweizer. Sie fängt einerseits die karikierten Momente der Charakterisierung der Asylbewerber auf, sorgt sozusagen dafür, dass der liebevolle Spott sich über alle erstreckt. Andererseits aber nimmt sie dem Humor die Schärfe.

Komik funktioniert dann am besten, wenn sie Angst macht, wenn sie an die Schmerzgrenze geht, wenn man sich fragt, ob „sowas“ denn überhaupt noch drin liegt. Sanfter Spott über menschliche Schwächen auf allen Seiten, kontrastiert mit ein paar gewittermässig heftigen Realitätseinschüssen führt aber eben gerade nicht in diesen Grenzbereich, in dem man Lachen und Nervosität nicht mehr auseinander halten kann.

Mit anderen Worten: Schweizer Helden bleibt stets auf der sicheren Seite, bei der Komik wie bei der Dramatik. Das ist unterhaltsam und charmant, manchmal herzerwärmend, manchmal erschütternd und nachdenklich machend. Aber man fühlt sich stets gut aufgehoben und wenigstens vorübergehend beruhigt in dem Film. Irgendwie unangebracht integriert.

(67. Filmfestival Locarno, Piazza Grande)

Kinostart Deutschschweiz 13. Nov. 2014

Peter Luisi
Peter Luisi

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