LA CHAMBRE BLEUE von Mathieu Amalric

Mathieu Amalric, Stéphanie Cléau © look now
Mathieu Amalric, Stéphanie Cléau © look now

Fünfundsiebzig Maigret-Krimis hat der belgische Autor Georges Simenon verfasst. Und dutzende weiterer Geschichten und Romane. Einen von diesen, «La chambre bleue», von Simenon 1963 im schweizerischen Epalinges geschrieben, hat nun der französische Starschauspieler und Regisseur Mathieu Amalric verfilmt. Mit sich und seiner Frau in den Hauptrollen.

Ein Hotelzimmer, irgendwo in der französischen Provinz. Ein Mann und eine Frau beim Liebesspiel. Esther beisst Julien in die Unterlippe und fragt, ob sie ihm wehgetan habe. Und bald darauf die Frage: Wenn ich frei wäre… würdest Du dich auch frei machen?

Julien bleibt die Antwort erspart, denn im gleichen Moment sieht er durchs Fenster Esthers Ehemann über den Platz auf das Hotel zukommen. Die Ausgangslage scheint eindeutig – aber schon bald weiss man als Zuschauer im Kino nicht mehr, woran man ist.

Genau so wenig wie der arme Julien. Die Geschichte wird in Rückblenden und Einvernahmen beim Richter erzählt. Esthers Ehemann, der Apotheker, ist offenbar tot und möglicherweise ist er nicht der einzige Tote. Hat Esther ihn umgebracht? Hat Julien im Gegenzug seine Frau umgebracht?

Mathieu Amalric hat für seinen fünften Spielfilm den Roman von Georges Simenon in nur vier Wochen Drehzeit zusammen mit seiner Frau Stéphanie Cléau seziert und neu zusammengebaut.

Léa Drucker, Mathieu Amalric © look now
Léa Drucker, Mathieu Amalric © look now

Geblieben ist die analytische Distanz, Simenons zärtlich unsentimentaler Blick auf die Verstrickungen seiner Protagonisten. Bewusst verzichtet hat Amalric dagegen auf die moralischen Aspekte, die indirekte Selbstgeisselung des notorischen Fremdgehers Georges Simenon, welche in dessen Roman sehr deutlich zu Tage tritt.

In fast schon pornografischer Direktheit inszeniert Mathieu Amalric sich und seine tatsächliche Ehefrau als leidenschaftliches Paar beim Sex. Und dann kontrastiert er diese intimen Szenen in der titelgebenden Chambre bleue des Hotels mit der nüchternen Alltäglichkeit der Einvernahmen und den Rückblenden.

Dass der ganze Film dazu statt im seit vielen Jahren üblichen Breitwandformat im klassischen, beinahe quadratischen Fernsehformat (1:1.33) gedreht wurde, sorgt für das Gefühl, im Kino zwischen die Zeiten geraten zu sein.

Kleider, Sprache und Benehmen im Film sind aktuell, auch wenn Simenons Roman in den frühen sechziger Jahren spielt, die meist starre Kamera und der grösste Teil der Schnittfolgen wiederum haben einen nostalgischen Touch, eben so wie die elegisch-dramatische Musik von Grégoire Hetzel, welche an George Delerue oder Bernard Herman und Hitchock erinnert.

Mit La chambre bleue hat Mathieu Amalric seine Doppelrolle als Schauspieler und Regisseur perfektioniert und zusammen mit seiner Frau als Spiel- und Drebuchpartnerin die Essenz des Simenon-Romans eben so packend wie souverän in ein unterhaltsames kleines Kunstwerk überführt.

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