Locarno 14: Die Preise

Pardo d’oro für Lav Dias © Festival del film Locarno / Sailas Vanetti
Pardo d’oro für Lav Dias © Festival del film Locarno / Sailas Vanetti

Ein schöner Palmarès, ohne Überraschungen. Für einmal waren sich Jury und Kritiker und Publikum weitgehend einig. Das spricht für die Programmierung von Carlo Chatrian und seinem Team. Nicht weil die Auswahl klein gewesen wäre, sondern weil die grundsätzliche Qualität der Filme im Wettbewerb tatsächlich sehr hoch war dieses Jahr.

Hier die wichtigsten Preise:

  • Pardo d’oro Mula sa kung ano ang noon von Lav Diaz, Philippinen
  • Premio speciale della giuria: Listen Up Philip von Alex Ross Perry, USA
  • Pardo per la migliore regia (Best Director): Cavalo Dinheiro von Pedro Costa, Portugal
  • Pardo per la miglior interpretazione femminile (Best Actress): Ariane Labed für Fidelio, l’odyssée d’Alice von Lucie Borleteau, Frankreich
  • Pardo per la miglior interpretazione maschile (Best Actor): Artem Bystrov in Durak von Yury Bykov, Russland
  • Special Mention: Ventos de Agosto von Gabriel Mascaro, Brasilien
  • Prix du Public: Schweizer Helden von Peter Luisi, Schweiz

Die komplette Preisliste ist auf der Festivalseite zu finden.

Und hier noch unsere Radiobilanz zum Nachhören:

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Locarno 14: GYEONGIU von Zhang Lu

Gyeongju 8

Choi Hyeon ist Koreaner, hat eine Chinesin geheiratet und ist in Peking Professor für Northeast Asian Studies. Zum Begräbnis eines überraschend verstorbenen alten Freundes ist er für ein paar Tage nach Süd-Korea zurückgekommen. Er sagt wenig, bleibt stets überaus liebenswürdig und er sieht gut aus. Das findet jedenfalls die junge Frau vom Tourismusbüro, die ganz zappelig wird in seiner Gegenwart.

Es ist schwer zu sagen, was diesem Film seinen heiteren Zauber verleiht. Vielleicht sind es die vielen bloss angedeuteten erotischen und politischen Spannungen, all die Momente, die wie Expositionen für andere Geschichten wirken. „Locarno 14: GYEONGIU von Zhang Lu“ weiterlesen

Locarno 14: PAUSE von Mathieu Urfer

André Wilms und Baptiste Gilliéron © filmcoopi
André Wilms und Baptiste Gilliéron © filmcoopi

Manchmal ist es einfach gut, keine allzu grossen Ambitionen zu hegen. Musiker Sami ist zufrieden damit, mit seinem alten Alkoholikerfreund Férnand durch die Lokale zu ziehen und seine Country-Musik zu spielen. Er komponiert und tüftelt an Songs. Und er lebt eben gerade wieder in seinem Auto, weil ihn seine Freundin nach vier Jahren rausgeschmissen hat.

Das erklärt er Julia, die er an einer Tankstelle trifft. Und vier Jahre später ist er mit Julia am gleichen Punkt. Manchmal ist es einfach gut, keine allzu grossen Ambitionen zu hegen, hat sich glücklicherweise wohl auch Drehbuchautor, Regisseur und Musiker Mathieu Urfer gesagt, als er sich auf seinen ersten Spielfilm vorbereitet hat.

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Locarno 14: THE IRON MINISTRY von J.P. Sniadecki

The Iron Ministry 2

Um Land und Leute Chinas wirklich kennen zu lernen, so steht es in einem Reiseführer, müsse man in dem riesigen Land eine längere Zugreise unternehmen.

Der US-amerikanische Regisseur J.P. Sniadecki hat mehrere solcher Fahrten gemacht, ist während dreier Jahre mit der Eisenbahn kreuz und quer durch China gereist, die Kamera immer mit dabei. Und so kann das Publikum, das sich hier in Locarno den Wettbewerb anschaut, wenigstens für knappe eineinhalb Stunden mitfahren. Es ist erstaunlich, wie viel man in diesem Mikrokosmos der Eisenbahn über das grosse Land erfährt. „Locarno 14: THE IRON MINISTRY von J.P. Sniadecki“ weiterlesen

Locarno 14: SCHWEIZER HELDEN von Peter Luisi

Der Tell: Komi Mizrajim Togbonou als Punishment © frenetic
Der Tell: Komi Mizrajim Togbonou als Punishment © frenetic

Bevor der Tell überhaupt zum Apfelschuss kommt, wird er ausgeschafft. Das ist eine der etlichen wirklich gut sitzenden Pointen in Peter Luisis neuer Tragikomödie, einem Film, der daran erinnern will, wer unsere Helden sind.

Esther Gemsch spielt die leicht frustrierte sitzengelassene Hausfrau und Mutter Sabine, welche eher zufällig auf die Idee verfällt, mit den Asylbewerbern im Durchgangszentrum im Rahmen eines Beschäftigungsprogrammes einen Willhelm Tell zu inszenieren. Was sie dabei treibt, ist zunächst eher der Versuch, ihre verräterischen Freundinnen zu beeindrucken, als ein tieferes Verständnis für die Situation der Menschen im Durchgangszentrum. „Locarno 14: SCHWEIZER HELDEN von Peter Luisi“ weiterlesen

Locarno 14: ALIVE von Jungbum Park

Heatbit Shin als Hana mit Jungbum Park
Heatbit Shin als Hana mit Jungbum Park

Am Leben sind die Figuren in diesem koreanischen Drama. Aber zu mehr reicht es nie. Vor allem der vom Filmemacher selber gespielte Jungchul fragt sich dauernd, warum er nichts, aber auch gar nichts haben kann.

Jungchul arbeitet härter als alle anderen, er ist smarter, er versucht, sein nach einer Flut halb eingestürztes Haus zu reparieren und er kümmert sich schliesslich um seinen etwas einfachen Freund Myunghoon, um seine dem Wahnsinn nahe Schwester Sooyun und um deren uneheliche Tochter Hana. Dazu verdingt er sich in der Soya-Manufaktur bei deren Patron Sooyun als Köchin angestellt ist. „Locarno 14: ALIVE von Jungbum Park“ weiterlesen

Locarno 14: LISTEN UP PHILIP von Alex Ross Perry

Joséphine de La Baume, Jason Schwartzman 2

Die Stadt New York ist Schauplatz und Protagonistin so vieler Filme der US-amerikanischen Independen-Szene. Auch Alex Ross Perry, seit seinem Spielfilm The Color Wheel 2011 der neue Liebling der Independent-Fans, macht die Stadt zum Thema seines neuen Films Listen Up Philip, der hier in Locarno im Wettbewerb läuft.

Aber Perry, gerade mal 30jährig, rechnet in seiner Misanthropen-Komödie ziemlich drastisch mit New York ab. Im Director’s Statement schreibt er, er habe noch in keinem Film gesehen, was diese Stadt den Menschen wirklich antue. Sie sei voller Negativität, feindlich, man müsse immer um alles kämpfen. Zu oft würden diese Eigenschaften im Kino als charmante Probleme, die einfach zu lösen seien, dargestellt.
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Locarno 14: A BLAST von Syllas Tzoumerkas

Angeliki Papoulia
Angeliki Papoulia

A Blast, das heisst «eine Explosion». Dieser Film des 36jährigen griechischen Regisseurs Syllas Tzoumerkas ist eine einzige eineinhalbstündige Explosion der Wut einer ganzen Generation. Schon seit einigen Jahren drehen die etwa 25 bis 40jährigen griechischen Filmemacher Werke, die von der Krise im Land erzählen, von der ausweglosen Situation, in der diese Generation praktisch unverschuldet gelandet ist.

Aber ich habe noch keinen griechischen Film gesehen, der dies dies so ungeschminkt, unverstellt und wörtlich getan hat. A Blast ist weder Kommentar noch Allegorie auf die Misere Griechenlands. Er ist noch nicht einmal eine Übertreibung. Der Film ist ein schonungsloses Bild eines Landes, das schon lange nicht mehr am Abgrund steht, sondern schon hineingefallen ist. „Locarno 14: A BLAST von Syllas Tzoumerkas“ weiterlesen

Locarno 14: DOS DISPAROS von Martín Rejtman

Dos disparos 4

Beim Reparieren des Rasenmähers findet ein junger Mann im Schuppen einen Revolver, geht auf sein Zimmer und drückt zweimal ab. Der erste Schuss streift seinen Kopf, den zweiten jagt er sich durch den Bauch. Er überlebt ohne grösseren Schaden, nach einer Woche schon wird er aus dem Spital entlassen, mit einem grossen Pflaster auf dem Bauch, einem unauffindbaren Projektil irgendwo im Körper und einem seltsam pfeifenden Echo, wenn er Blockflöte spielt.

Über seine Motivation kann Mariano keine Auskunft geben, es sei einfach ein einmaliger Impuls gewesen, erklärt er dem Psychiater. Seiner Mutter und seinem Bruder erklärt er gar nichts, man redet nicht mehr darüber. „Locarno 14: DOS DISPAROS von Martín Rejtman“ weiterlesen

Locarno 14: CURE – THE LIFE OF ANOTHER von Andrea Štaka

Sylvie Marinkovic, Lucija Radulovic © oko film
Sylvie Marinkovic, Lucija Radulovic © oko film

„Das Leben einer Anderen“ kündigt der Filmtitel an, und schon dieses Bild hat mehr als zwei Seiten. Für den Teenager Linda, die im Sommer 1993 mit ihrem Vater aus Zürich nach Dubrovnik in dessen kroatische Heimat gekommen ist, könnte die Kur, die Heilung, darin bestehen, dass sie ihre kroatischen Wurzeln findet.

Aber Linda und ihre neue kroatische Freundin Eta sind selber „cure“- „Mädchen“ – auf Kroatisch. und schliesslich wird Linda sogar Eta sein, zumindest für deren Grossmutter, nach Etas Tod. Und den wiederum hat, vielleicht, Linda verschuldet.

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