Atom Egoyan im Gespräch zu THE CAPTIVE

Jetzt auf DVD Alexia Fast und Ryan Reynolds in Atom Egoyans The Captive
Jetzt auf DVD: Alexia Fast und Ryan Reynolds in Atom Egoyans ‚The Captive‘ © Ascot-Elite

Mit dem Entführungsthriller The Captive bringt der kanadisch-armenische Filmemacher Atom Egoyan seine Voyeurismus-Obsession auf die Höhe der Zeit. Die Langzeitentführung einer Zehnjährigen wird zum perversen Spiel des Entführers mit Eltern und Polizei. Ein Gespräch über die Gewalt des Zuschauens anlässlich des aktuellen DVD-Releases.

In den 80er Jahren gehörte Atom Egoyan zur Avantgarde des reflexiven filmischen Erzählens. Mit Filmen wie Family Viewing, Speaking Parts oder The Adjuster nutzte er Video, Überwachungssysteme und Videokonferenzsysteme zur Blicksteuerung und ihrer Thematisierung. Egoyans Filme waren immer auch Reflexionen über die Macht des Erzählens. Unterdessen gehört die mediale Spiegelung so selbstverständlich zum Alltag, dass Egoyans jüngster Thriller The Captive wie eine Rekapitulation seiner einstigen Obsessionen wirkt. Im Gespräch mit Michael Sennhauser reflektiert der Filmemacher veränderte Sehgewohnheiten, den wachsenden Einfluss der Fernsehserien aufs Publikum und das mögliche Ende des Spielfilms.

Hören:

Reflexe vom 13. Januar 2015 (Rechtsklick für MP3 Download )

(Sendemanuskript nach dem Sprung)

Atom Egoyan © Ascot-Elite
Atom Egoyan © Ascot-Elite

Sendemanuskript Reflexe vom 13. Januar 2015:

[Audio: Intro Music, 00:00:08,88]

Ein Vater hält schnell vor der Bäckerei, um Abendessen einzukaufen. Als er ins Auto zurückkommt, ist seine zehnjährige Tochter verschwunden…

[Audio: Cass?, 00:00:13,10]

„The Captive“ heisst der Kinothriller des armenisch-stämmigen kanadischen Regisseurs Atom Egoyan.

Sie hören Reflexe, ich bin Michael Sennhauser. Und mit Atom Egoyan habe ich anlässlich der Weltpremiere von „The Captive“ am Filmfestival in Cannes im letzten Mai gesprochen.

Ins Kino ist der Film bei uns nie gekommen, aber seit ein paar Tagen ist „The Captive“ auf DVD erhältlich

Atom Egoyan hat in dem Film all die filmischen Obsessionen versammelt, die sein Werk seit rund dreissig Jahren prägen. Es geht um Beobachtung und Manipulation, um Wahrnehmung und Interpretation und es geht um die Macht des Erzählers, die Gewalt, welche derjenige ausübt, der den Verlauf einer Geschichte bestimmt – mithin um die Macht und die Verantwortung des Regisseurs.

In Atom Egoyans Filmen war das Zuschauen, das Beobachten bis hin zum klar definierten Voyeurismus immer eine der treibenden Kräfte. Schon in einem seiner ersten Filme, „Family Viewing“ von 1987, spielte er mit der Diskrepanz zwischen dem Familienleben, das ein Vater obsessiv mit der Videokamera festzuhalten versuchte, und dem Leben, das einzelne Familienmitglieder sich für sich und andere wünschten.

Die Grenzen zwischen zuschauen und tun liess er in „The Adjuster“ von 1991 verschwimmen, jenem Film, in dem ein Versicherungsinspektor mit Klienten Sex hat, während seine Frau für die Zensurbehörde pornografische Filme visioniert … und in „Exotica“ von 1993 verwob er die Lust des Voyeurs komplex mit der Freude am Fabulieren und den Gefahren der Manipulation in einer Geschichte rund um eine Tänzerin, ihren Ex-Freund, der sie bei der Arbeit beobachtet, der Entführung eines Mädchens und der Suche nach dem, was allenfalls wirklich passiert sein könnte…

Mit „The Captive“ nun kombiniert Atom Egoyan eine Natascha-Kampusch-Langzeit-Entführungsgeschichte mit den Beobachtungs- und Selbst-Darstellungsobsessionen des Internetzeitalters.

[Audio: Intro Music, 00:00:08,88]

Zunächst gerät der von Ryan Reynolds gespielte Vater des entführten zehnjährigen Mädchens selber in Verdacht:

[Audio: You claim you did not see anything?, 00:00:08,88]

Und sogar seine Frau gibt ihm die Schuld … er habe ihre gemeinsame Tochter verloren….

[Audio: It’s his fault …., 00:00:14,56]

Aber acht Jahre später tauchen plötzlich Anzeichen auf, dass das entführte Mädchen möglicherweise lebt. Die Mutter, welche in einem Hotel als Zimmermädchen arbeitet, findet in einem der Zimmer eine Haarbürste, welche der Tochter gehört hatte.

[Audio: remember that Brush? Just found one, 00:00:11,90]

Und als die Polizei das Zimmer genauer untersucht, findet sie versteckte Videokameras

[Audio: there is a kidnapper and there is a watcher …., 00:00:19,05]

Jemand hat offenbar begonnen, die noch immer trauernde Mutter zu beobachten und sie mit Zeichen wie der Haarbürste aufzuwühlen … und schliesslich stellt sich heraus, dass Cass wohl noch lebt und als mittlerweile 18jährige Frau weiterhin in der Gewalt ihres Entführers sein dürfte..

[Audio: These people have my daughter … and she is alive, 00:00:16,12]

„The Captive“ von Atom Egoyan hat als Film einige Überraschungen zu bieten. Dazu gehört auch, dass man nie genau weiss, wer den Verlauf der Geschichte tatsächlich beherrscht…

Alfred Hitchock habe immer einen ganz grossen Einfluss auf sein filmisches Schaffen gehabt, sagt Atom Egoyan …

[Audio: Hitchcock was such an influence .. we are aware that there is an observed reality, 00:00:07,27]

„The Captive“ mache dem Zuschauer von Anfang an klar, dass er es mit einer beobachteten Realität zu tun habe.

Tatsächlich fragt man sich von den ersten Bildern an, wie viel man davon als bar Münze verstehen darf, wie viel die subjektive Erinnerung der Protagonisten ist … und wie viel gar den Manipulationen des perversen Entführers zu verdanken ist … oder den Obsessionen des Regisseurs.

Er habe es unglaublich inspirierend gefunden, einen Film wie Hitchcocks Klassiker „the Birds“ wieder zu sehen, sagt Atom Egoyan. Im ersten Teil des Film passiere eigentlich gar nichts ….

[Audio: found it rewarding rewatching the birds … nothing is happening, observational, 00:00:15,19]

Da seien sehr lange Szenen, in denen bloss das Städtchen und seine Bewohner beobachtet werden. Das habe nichts mit Überwachung zu tun … aber man spüre, dass man da einfach in Echtzeit das Leben in diesem Städtchen vorgeführt bekomme

[Audio: it’s not surveillance .. hitchcock was before antonioni with real time observation and implied viewer, 00:00:31,29]

Interessanterweise redeten Filmhistoriker immer über Michaelangelo Antonioni und seine Szenen in Echtzeit, in denen nichts passiert und die Zeit so langsam vergeht, wie sie eben vergeht. Dabei habe auch Hitchock dieses filmische Mittel schon früh eingesetzt … dieses ruhige Zuschauen, das einem irgendwann das Gefühl vermittelt, man stecke in der Haut eines Beobachters.

Zum Kino gehöre dieses Gefühl der Erwartung, sagt Atom Egoyan. Wenn wir schauen, dann wird auch etwas passieren

[Audio: cinema has this sense of observation, creates a tension, 00:00:19,89]

Wir wissen nie, ob und wann etwas passieren wird … aber genau das erzeuge die Spannung, sagt Atom Egoyan.

Er sei sich klar darüber, dass er mit „The Captive“ gerade zu Beginn des Films dem Publikum viel Vertrauen abverlange. Die verschachtelte Chronologie mit Gegenwart und Rückblenden trenne Ursache und Wirkung ziemlich radikal und das Publikum müsse darauf vertrauen können, dass seine Erwartungen eingelöst werden

[Audio: cause and effect are radically split up in the film. huge expectation on the viewer, 00:00:17,64]

Das sei ein Versuch, den Raum zu spiegeln, in dem sich die Eltern befinden, dieses Schweben in der Ungewissheit … da niemand weiss, was mit dem verschwundenen Kind passiert ist….

[Audio: Characters floating in space, parents renegotioating, not knowing what has happened to the child, 00:00:31,39]

Und das sei natürlich auch das Trauma der Polizeimitarbeiter, welche immer wieder mit solchen Kindsentführungen zu tun hätten, ohne direkt eingreifen zu können

[Audio: also the trauma of theses detectives… , 00:00:10,63]

und natürlich ganz klar auch das Trauma des Entführers und der Entführten, sagt Atom Egoyan

[Audio: and the trauma of the captor and the captive, explicitly, 00:00:05,83]

Der Film sei ungewöhnlich aufgebaut sagt Atom Egoyan. So wissen wir als Zuschauer von Anfang an, dass das entführte Mädchen lebt

[Audio: structured in an unusual way … we know she is alive, 00:00:04,39]

Wir spüren, dass viel Zeit vergangen sein muss … allmählich kommen wir zum Schluss, dass die Mutter und einer der Poizisten sich jedes Jahr am Geburtstag des Mädchens treffen

[Audio: have a sense of 8 years ago … believe the mother and dtectve meet every year on her birthday, 00:00:08,59]

Dann komme diese andere Entführung dazu, von der wir nicht wissen, worum es gehe …

[Audio: there is another captures and clues to put together, 00:00:19,08]

Der Aufbau des Films stelle bestimmt eine Herausforderung dar, sagt Atom Egoyan.

[Audio: it is challenging but to me felt like the language to use, 00:00:07,46]

Aber er habe das Gefühl gehabt, die komplexe Erzählstruktur sei die richtige gewesen…

Vom professionellen Publikum in Cannes ist der Film zwiespältig aufgenommen worden … vielleicht gerade darum, weil er so kunstvoll künstlich bleibt. Als Zuschauer bin ich mir in „The Captive“ dauernd bewusst, dass ich zuschaue. Und irgendwann wird mir dann auch noch klar, dass ich nicht der einzige bin, dass da ein Zuschauer im Film eingebaut ist … einer, der die anderen manipuliert … und schliesslich wird mir dann auch noch bewusst, dass ich das ja eigentlich immer gewusst habe. Denn da ist ja der Regisseur des Films, der ebenfalls diese Rolle hat.

Atom Egoyan ist sichtlich erleichtert über meine Auslegeordnung …

[Audio: Thanky you. It is all set up. all a series of set ups., 00:00:25,46]

Ihm sei nicht klar, warum offenbar nicht allen klar geworden sei, dass es bei dem Film um Setups gehe, um fabrizierte Realität… da sei dieser Vater, ein normaler Mann, der seine Tochter verliert und unter Verdacht gerät und natürlich sei da im Hintergrund dieser geheime Club im Film, der diese Setups herstelle ….

[Audio: secret club. but I am very aware of what I am doing … engaging the viewer in that process, 00:00:11,32]

Aber zugleich sei er als Regisseur sich nur zu bewusst, dass er für alles die Verantwortung trage – und zugleich sein Publikum in diese Verantwortung einbinde.

Das sei es doch letztlich, was das Kino ausmache, sagt Atom Egoyan. Klar gebe es das naturalistische Illusionskino, aber das sei nie seine Welt gewesen …

[Audio: it’s waht cinema does … never been naturalistic … rooted in what our culture has become., 00:00:17,73]

Er erzähle Geschichten von Menschen, aber stets verwurzelt in unserer tatsächlichen Kultur.

Ein Freund habe ihn darauf aufmerksam gemacht, dass schon in seinem ersten Cannes-Film „Speaking Parts“, mit dem er vor 25 Jahren ans Festival gekommen sei, ein Zimmermädchen vorkomme, die beobachtet werde…

[Audio: first came to cannes 25 years ago with speaking parts … hotel maid being watched …, 00:00:15,69]

Er habe selber als Houseboy in HOtels gearbeitet, das sei auch mit ein Grund dafür dass solche Durchgangsorte ihn faszinierten, sagt Atom Egoyan

[Audio: did work in hotels. fascinate me as transient spaces .., 00:00:08,59]

In „Speaking Parts“ gebe es schon diese Beziehung zwischen zwei Liebenden, eine Fernbeziehung mit einer Masturbationsszene über Satellitenvideo …

[Audio: speaking parts relationship bt lovers via satelite .. masturbation scene …, 00:00:14,47]

Dafür habe damals 1989 ganze Räume mieten müssen, und es wirkte wie Science Fiction

[Audio: seemed like scifi .. looks like the internet … completely diff world, 00:00:16,84]

und wenn man sich den Film heute ansehe, komme einem das vor wie das Internet, Skype… dabei leben wir heute in einer komplett anderen Welt. Der Hauptunterschied zu damals sei der, dass wir heute Bilder ohne Aufwand global und in Echtzeit teilen können

[Audio: change since: we can share images without effort, make secret links…. now, 00:00:22,22]

Und das sei die nun Welt, in der „The Captive“ spiele, sagt Atom Egoyan. Privates Zuschauen, geschlossene Nutzergruppen, elaborierte Setups mit Videobildern in Echtzeit und Voice-Over

[Audio: this is the world captive is set in … mediated existence…., 00:00:14,68]

Aber die Frage sei die gleiche geblieben: Wie unterscheiden wir vermittelte Existenz von ihrer Vermittlung durch die Kamera?

[Audio: how to differentiate the mediated existence and how it is mediated through the camera, 00:00:18,40]

Es spiele keine Rolle, wie natürlich das alles wirke, wie unmittelbar, etwa dank Handkamera … es ist immer noch vermittelte REalität. Und das habe einen Einfluss auf das menschliche Verhalten, sagt Atom Egoyan.

[Audio: no matter how immediate and natural it is … it is mediated and this affects human behaviour, 00:00:10,92]

Er habe durchaus Bewunderung für Filmemacher, die nicht dauernd reflektierten, was sie täten … aber er könne nun mal nicht anders, sagt Atom Egoyan

[Audio: I am in awe of filmmakers who don’t reflect what they are doing … it is fundamental to my practice…, 00:00:14,13]

Und so beanwortet Egoyan auch eine der Fragen, welche sein Film zu ignorieren scheint. Wie ist es möglich, dass die als zehnjährige entführte Cass in Isolationsgefangenschaft zu einer selbstbewussten und klar denkenden Frau geworden ist?

Sie sei durchaus mit der Welt verbunden, meint Atom Egoyan. So, wie der Entführer sie ihre Mutter beobachten lasse, sei sie auch sonst verbunden, belesen, geschult … einfach ohne direkte soziale Kontakte

[Audio: she seems to be connected, well read, educated … but without social contact, 00:00:19,84]

Aber von dem, was der Film zeige, meint Egoyan, werde doch klar, dass es Cass gelungen sei, ihre persönliche Unabhängigkeit zu bewahren … sie sei extrem intelligent und sie bleibe ihrer Familie verbunden…

[Audio: she is bright and he has not disassociated her from her family …, 00:00:24,36]

vor allem aber habe ihr Entführer sie eben ihrer Familie nicht entfremdet … im Gegenteil, er nutze ihre Familienverbundheit aus und romantisiere sie beinahe für seine eigenen Zwecke…

[Audio: he has taken advantage and almost romanticized this relationship …, 00:00:06,86]

Trotzdem finde ich dass Cass im Gegensatz zu den Polizisten und ihren Eltern zu souverän geraten ist, um als FIgur völlig glaubwürdig zu sein … Das akzeptiert Atom Egoyan mit dem Hinweis darauf, dass der Film ja auch ein Fabel sei… und der Name des Mädchens sei ja nicht von ungefähr „Cassandra“

[Audio: film is a fable too. her name is Cassandra. Yes, she is an ideal …, 00:00:14,08]

Ja, sie sei ein Ideal sagt Egoyan …. aber der Entführer habe sie ja auch dazu gemacht. Er habe sie geschult und erzogen

[Audio: Cassandra’s Box? He schools her to be this price that he has…., 00:00:26,01]

… der Entführer habe sie sozusagen zu seinem Gold-Schatz gemacht. Bei den Recherchen zum Film sei er auf den fantastischen Aufsatz „Gegen die Liebe“ von Rainer Just gestossen, der den Fall von Natascha Kampusch und ähnliche Langzeit-Enführungen untersuche…

[Audio: fantastic Essay by Rainer Just : Gegen die LIebe, 00:00:10,08]

Er interpretiere die als Verzerrung unserer Vorstellung von romantischer Liebe…

[Audio: Kampusch Distortion of romantic love, excludes the wolrd, all attention on the beloved, 00:00:19,58]

jene romantische Liebe, welche die Welt ausschliesst und sich völlig auf das Objekt der Liebe kapriziere. Unsere Faszination mit Geschichten wie jener von Natascha Kampusch und ihrem Entführer basiere zu guten Teilen genau auf diesen fixierten Vorstellungen von romantischer Liebe

[Audio: our fascination with these cases stems from our hardwire notion of romantic love, 00:00:10,70]

Das sei eine dunkle, aber brillante Theorie, findet Atom Egoyan. Und Miika, der Entführer von Cass im Film „THe Captive“ habe ja entsprechend seine ganze Existenz um sein Entführungsopfer herumstruktuiriert….

[Audio: dark theory. Miikas Existence is structured around her presence…, 00:00:15,40]

So ein Film sei designt um langsam ins Bewusstsein einzusinken, sagt Atom Egoyan – sichtlich enttäuscht über etliche negative Reaktionen nach der Uraufführung in Cannes am Tag zuvor…

[Audio: A film like this is designed to settle in …. (sirens), 00:00:17,59]

Und genau da sehe er die Krise des Kinos, sagt Atom Egoyan. Das sei eine Kunstform, welche für rund zwei Stunden intensive Konzentration fordere … während wir uns immer stärker an die wachsende Qualität von Fernsehserien gewöhnen…

[Audio: this is the crisis of cinema … we are now used to extended TV, 00:00:33,57]

die können sich Zeit lassen, um das Leben ihrer Figuren aufzufächern… Im Gegensatz zu den Serienfiguren, die einem ans Herz wüchsen, meint Atom Egoyan, würde niemand längere Zeit mit den Protagonisten seines Films leben wollen…

[Audio: a film like this … not characters you would want to be with for a long time, 00:00:13,41]

diese Figuren sind so gezeichnet, dass sie in dieses zweistündige Feature passen….

Ein Spielfilm sei wohl näher bei der literarischen Form der Short Story, meint Atom Egoyan

[Audio: feature film is more akin to the short story…., 00:00:10,12]

Serien-Fernsehen dagegen habe eine romanhafte Form … und darum basierten wohl auch viele der besten Spielfiilme eher auf Kurzgeschichten…

[Audio: tv is more long form … short story depends on how it ends…., 00:00:25,00]

Die Form einer Kurzgeschichte werde ausgesprochen von ihrem Ende bestimmt … und das gelte sinngemäss auch für den Kinospielfilm.

Aber wir gewöhnen uns immer mehr an die romanhafte Form der Fernsehserien und bringen diese Erwartungen mehr und mehr auch ins Kino

[Audio: we are now bringing that into our cinemas, not understanding that it is a different structure, 00:00:11,11]

Er liebe Serien, sagt Atom Egoyan. Aber er fürchte, der Kinofilm als Kunstwerk nähme mittlerweile Schaden

[Audio: I love series but fear the feature film is becoming diminsished…, 00:00:24,62]

Das Erzählen, das vom Fortschreiten der Zeit lebt, vom endlosen Weiterentwickeln oder variantenreichen Durchspielen der Charaktere macht ja tatsächlich den Reiz der guten Fernsehserien aus. Und man könnte sich durchaus vorstellen, dass aus den in knapp zwei Stunden skizzierten Figuren von „The Captive“ eine attraktive Fernsehserie hätte werden können.

Gerade die Figur der Cass, des Entführungsopfers, das sich schliesslich als souveränste und handlungsmächtigste Figur von allen entpuppt, wäre ein starker Motor für eine Serie.

Aber genau dafür interessiert sich Atom Egoyan ja am wenigsten. Er untersucht mit seinen Filmen die Mechanismen der Faszination, die Möglichkeiten des manipulativen Erzählens. Man könnte auch sagen: Er macht Filme über das Filmemachen.

Und so gesehen ist „The Captive“ ein echter, spannender Egoyan … vielleicht gerade weil er die Distanz zwischen Zuschauer und Figuren nie aufhebt, weil er mich im Kino nicht zu einem Familienmitglied macht, sondern mir immer wieder vor Augen führt, dass ich Zuschauer bin.

Das sei unausweichlich, meint Atom Egoyan. Aber vielleicht sei die grosse Zeit des Kinos wirklich vorbei. Vielleicht müsse man im Rückblick wirklich sagen, dass die Zeit nach den Weltkriegen bis zur Jahrhundertwende das goldene Zeitalter des Kinos gewesen sei….

Aber das sei zu deprimierend, darüber wolle er gar nicht reden. Er sei Filmemacher, sagt Atom Egoyan …

[Audio: this is inevitable … cinema ended at the tunr of the century…?, 00:00:29,97]

Mit Atom Egoyan über seinen Film „The Captive“ gesprochen habe ich letzten Mai am Filmfestival in Cannes. Der Film ist jetzt als DVD erhältlich und in seiner konstruierten Vielschichtigkeit absolut faszinierend.

Das war Reflexe, mein Name ist Michael Sennhauser.

(Sendemanuskript der Reflexe-Sendung von SRF2 Kultur vom 13. Januar 2015. Anhören oder downloaden können Sie sich die Sendung als MP3 über den Link am Anfang dieses Blogeintrages)

Kommentar verfassen