Den blutroten Himmel über dem brennenden Atlanta in Gone with the Wind oder die «Yellow Brick Road» in The Wizard of Oz verdankt das Kino dem hundert Jahre alten Technicolor-Verfahren. Ihm gilt die Retrospektive der 65. Berliner Filmfestspiele.
Die Na’vi in James Camerons Avatar sind blau, ihre Waldwelt vornehmlich grün, und wenn Serienheld Dexter seinem Handwerk nach geht, spritzt das Blut… blutrot. Dagegen stapfte noch 1931 Boris Karloff als Frankensteins Monster in Schwarzweiss durch die Universal-Studiosets. Aus Kostengründen.
Filme waren schon farbig, bevor überhaupt jemand an den Tonfilm zu denken wagte. Schon in frühester Stummfilmzeit begannen die Produzenten damit, Filmstreifen einfärben zu lassen. Bei manchen Filmen wurden gar von Hand die Einzelbilder bemalt. Aber an eine auch nur halbwegs natürliche Farbwiedergabe dachte noch kaum jemand.
Am 19. November 1915 gründete Herbert Thomas Kalmus mit seinen Ingenieurskollegen Daniel Frost Comstock und W. Burton Westcott die Technicolor Corporation. Kalmus, Physiker, Elektrochemiker und Metallurg, hatte in Zürich studiert und später am Massachusetts Institute of Technology unterrichtet.
Obwohl es schon komplexe Kinofarbverfahren gab, etwa das britische Kinemacolor, sah das Trio eine Marktchance, sollte es gelingen, ein günstiges und massentaugliches Verfahren zu entwickeln. Dafür brauchten sie dann allerdings auch fast ein Vierteljahrhundert.
Das erste Verfahren, Technicolor 1, hatte der Konkurrenz voraus, dass mit bloss einer Kamera gedreht werden konnte. Mit einem Prisma und grünen und roten Farbfiltern wurden immer zwei schwarzweisse Bilder belichtet. Bei der Projektion mittels Spezialprojektor wurden dann die beiden Farbauszüge wieder über Filter gemischt.
Aber gerade weil dafür nach wie vor spezielle Projektoren nötig waren, setzte sich das Verfahren am Markt nicht durch. Für Technicolor 2 wurden daher dann die Farbauszüge aufeinander geklebt, damit konnten die Filmstreifen theoretisch durch ganz normale Projektoren laufen. Allerdings führte die doppelte Dicke und die Verformung des Materials in der Hitze der Projektoren zu neuen Problemen.
Erst mit Technicolor 3 kam der Durchbruch. Er gelang, weil die Farben nun mit einem komplexen Druckverfahren auf den Filmstreifen aufgebracht wurden, eine Technik, welche Technicolor 4 ab 1932 perfektionierte. Nun konnten Farbfilme mit den gleichen Projektoren und der gleichen Leichtigkeit vorgeführt werden wie die herkömmlichen Schwarzweissfilme.
Einer, der schon lange vor den anderen Studios die Farbe als Alleinstellungsmerkmal entdeckt hatte, war Walt Disney. Er begann schon bald und vorerst exklusiv mit Technicolor zu arbeiten, zunächst für kurze Musik-Cartoons, die «Silly Symphonies» und dann für seine erste Zeichentrick-Langfilmsensation Snow White and the Seven Dwarfs von 1937. Die Farbe war definitiv beim Publikum angekommen und die grossen Studios beeilten sich, mit Technicolor Verträge abzuschliessen.
Für Grossproduktionen wie David O. Selznicks Gone with the Wind und die spektakuläre Musicalverfilmung The Wizard of Oz (beide 1939) war die Farbe ein ebenso wichtiges Verkaufsargument wie später 3D im Kampf gegen das Fernsehen. Entsprechend deutlich bunt wollten die Studios darum auch ihre Produktionen haben. Das führte zu einem permanenten Kampf mit Technicolor. Die Firma verkaufte ihre Technologie nämlich nicht, sie vermietete sie. Samt firmeneigenen Technikern und Farbberatern. Die bemühten sich um möglichst natürliche und künstlerisch ausgewogene Farbpaletten und lieferten sich dabei einen steten Kampf mit den ausführenden Produzenten.
Zum 100. Geburtstag des Technicolor-Verfahrens widmet die 65. Berlinale die diesjährige Retrospektive der stilbildenden Farbfilm-Technik. Die Retrospektive präsentiert rund 30 spektakuläre, zum Teil aufwändig restaurierte Technicolor-Filme von den Anfängen bis 1953, darunter sechs britische Filme.
Die Zürcher Filmprofessorin Barbara Flückiger ist nicht nur eine der Autorinnen des zur diesjährigen Berlinale-Retrospektive erscheinenden Bandes «Glorious Technicolor», sondern auch die Initiantin und Kuratorin der weltweit führenden Filmfarben-Datenbank. Ihre Timeline of Historical Film Colors gibt eine grossartige Übersicht über den grössten Teil der historischen Farbverfahren und liefert zahllose Beispiele mit Vergleichsbildern und Materialien. Diese online frei zugängliche Sammlung ist nicht nur für Laien faszinierend, sondern längst ein unentbehrliches Arbeitsinstrument für Restauratoren und Archivare und all jene, welche sich der Digitalisierung der klassischen Filmbestände widmen.
In Reflexe auf SRF 2 Kultur habe ich mich mit ihr über die Geschichte von Technicolor unterhalten:
Reflexe: Technicolor – Wie das Kino farbig wurde (Rechtsklick für Download)
Mittwoch, 4. Februar 2015, 10.00-10.30 Uhr, SRF 2 Kultur