Berlinale 15: ALS WIR TRÄUMTEN von Andreas Dresen

Merlin Rose, Marcel-Heupermann, Julius Nitschkoff © Rommel-Film.j
Merlin Rose, Marcel Heupermann, Julius Nitschkoff © Rommel-Film

Fünf wilde junge Männer träumen in Leipzig gleich nach der Wende von viel Zukunft, und der Film blendet immer wieder zurück in ihre frühere Freundschaft und ihre Tage als Primarschüler und Jungpioniere noch in der DDR.

Das ist die fünfte offizielle Zusammenarbeit des Teams Dresen/Kohlhaase. Der Regisseur und sein 84jähriger Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase packen dabei mehr jugendlichen Ungestüm, Power, Hoffnung und Abgeklärtheit in die 117 Filmminuten als Hollywoods Teeniefuttermaschine in einem ganzen Jahr.

Dem Film liegt Clemens Meyers gleichnamiger Roman von 2006 zugrunde, der Titel kommt aber erst kurz vor dem Abspann auf die Leinwand. Vorher sind grafisch ausgesprochen starke, leinwandfüllende Zwischentitel die Kapitelmarken, der Film bewegt sich über drei Zeitebenen mit den entsprechenden jungen, sehr jungen und kindlichen Darstellern für die wichtigsten Rollen.

Dani (Merlin Rose), Rico (Julius Nitschkoff), Mark (Joel Basman), Paul (Frederic Haselon) und Pitbull (Marcel Heuperman) klauen Autos zusammen, dröhnen durch die Nacht, schleppen Kohle für eine halbblinde Oma die Treppe hoch, prügeln sich mit einer Glatzengang und gründen eine Underground-Disco. Dani verguckt sich sehr früh in Sternchen „das schönste Mädchen von Leipzig“, die sich ihre Zukunft leider immer wieder schneller und gründlicher versaut als die Jungs, die damit auch nicht allzu lange zuwarten. Rico will Boxer werden und verliert trotz Talent alle entscheidenden Kämpfe. Mark stürzt ab und in die Drogen.

Als wir träumten ist kein Feelgood-Movie und entlässt einen doch fast glücklich erschüttert in den Alltag hinaus. Das liegt nicht zuletzt daran, dass er fast dokumentarisch ungeschönt funktioniert und trotzdem in fast jeder Sekunde eine explosive Energie überträgt.

Wenn die völlig entfesselten Jungen in einem geklauten Auto durch Leipzigs Strassen röhren, unverwundbar und unantastbar, Könige ihrer eigenen Nacht, und schliesslich nicht nur das Auto, sondern auch gleich die nähere Umgebung in einer besoffenen Zerstörungsorgie kurz und klein schlagen, dann wirkt das realistisch, blödsinnig, aufregend, nachvollziehbar.

Der Kontrast zwischen der verlogen solidarischen Thälmann-DDR, welche den beeindruckten Jungpionieren in der Schule noch eingehämmert wurde (und auf die die Kinder schon mit Skepsis blickten, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen), wird der Brutalokapitalismus im Nachwende-Leipzig besonders spürbar, als die Neonazi-Gang für den Reviergangster Kehlmann, der keine Konkurrenz duldet, die plötzlich angesagte Disco der Jungs zertrümmert.

Obwohl der Film einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren überspannt, fliesst er schon kurz nach Verlassen des Kinos in einen einzigen grossen und grossartigen Sog zusammen. Buch und Musik, die Leistung der jungen Schauspieler, das Tempo und der Schnitt, vor allem aber der perfekte Rhythmus in der Abfolge von Nachdenklichkeit und Explosivität putschen einen richtiggehend auf, lassen die Erinnerungen an die eigene Jugend aufkommen und stellen sie gleich auch wieder in Frage.

Der neue Film von Andreas Dresen hat eine gewisse Verwandtschaft mit der anderen deutschen Überraschung dieser Berlinale, Victoria von Sebastian Schipper. Während aber Victoria mit bewundernswertem Elan in Echtzeit und ohne Schnitt gefilmt wurde, erzeugt Als wir träumten dieses Soggefühl der Unausweichlichkeit mit den klassischen Mitteln der Filmdramaturgie – einfach dermassen gekonnt, dass es einen nicht mehr loslässt.

Als wir träumten feiert nicht die (geplatzten) Träume der Jungen, sondern ihre Fähigkeit, mitten im Leben von noch mehr Leben zu träumen.

Regisseur Andreas Dresen © Rommel Film
Regisseur Andreas Dresen © Rommel Film

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