Berlinale 15: EISENSTEIN IN GUANAJUATO von Peter Greenaway

eisenstein

Peter Greenaway re-imaginiert Sergei Michailowitsch Eisensteins lange Monate in Mexiko, als der sowjetische Filmemacher und Montagepionier dort zu Beginn der dreissiger Jahre des letzten Jahrhunderts versuchte, seinen Revolutionsfilm Que Viva Mexico! zu drehen. Und wie!

Nachdem der dreiundsiebzigjährige Waliser dem frontalen Kino eigentlich schon abgeschworen hatte und die letzten Jahre vor allem mit multimedialen Installationen in Erscheinung trat, zeigt er nun überraschend und überraschend gut gelaunt, dass ihm auch zur digitalen Umnutzung der klassischen Kinomittel noch allerhand verblüffendes eingefallen ist.

Auch wenn Greenaway das erzählende Kino schon vor einiger Zeit als langweiliges Auslaufmodell denunziert hat, erzählt er nun doch wieder eine Geschichte. Die Geschichte des in der Sowjetunion eigentlich schon in Ungnade gefallenen, etwas über dreissig Jahre alten, kindlich begeisterten und sexuell vollkommen uninitiierten Künstlers, der, finanziert von Hollywoods Salonlinken, in Mexiko unerwartet seine schwule Erweckung findet.

Mit dokumentarischem Bildmaterial, einem kompletten Orchester, Split-Screens, digitaler Ent- und Umfärbung und natürlich unzähligen verblüffenden Montagen brennt Greenaway hier seinen Eisenstein ab wie ein Feuerwerk. Knapp zwei Stunden dauert das tragikomische, ausgesprochen liebevoll inszenierte Spektakel. Und man könnte problemlos zwei weitere Stunden lang zusehen.

Elmer Bäck als Eisenstein in Mexiko
Elmer Bäck als Eisenstein in Mexiko

Der Finne Elmer Bäck gibt Eisenstein als verletzlichen, scheuen, aufbrausenden und vor intellektueller Energie fast berstenden traurigen Clown mit grossen Charme-Reserven. Und Greenaway lässt nicht nur auf ihn, sondern auch auf das Publikum ein homoerotisches Stakkato los, das mit seiner Direktheit eben so verblüfft, wie es mit Humor und Zärtlichkeit einnimmt.

Bei der Pressevorführung im Berlinale-Palast hatte ich dabei einen Gedanken, den ich zunächst wieder beiseite wischte: Die frontale Direktheit, mit der Greenaway die anale „Entjungferung“ Eisensteins zeigt, hat mich daran erinnert, wie schockiert wir 1993 über die kirchlich angeordnete endlose Vergewaltigung von Julia Ormond in The Baby of Mâcon gewesen sind. Und um wie viel natürlicher, liebevoller und stimmiger die aus ungewohnt bühnenhafter Perspektive gefilmte Sexszene im aktuellen Film wirkt. Ich bin mir noch nicht sicher, wo die Verbindung genau liegt, und auch nicht, wie weit die mehr als zwanzig Jahre seit jenem Film sich auf das Empfinden des Publikums ausgewirkt haben. Oder ob einfach ich, wie natürlich auch Peter Greenaway, mittlerweile zweiundwanzig Jahre mehr gelebt habe.

Eisenstein in Guanajuato ist durchaus auch ein Film für Cinéphile und Kenner der Filmgeschichte. Und wer Eisensteins Biografie kennt oder gar seine Autobiografie gelesen hat, ist im Vorteil. Aber Peter Greenaway hat den Film so unhermetisch wie möglich gestaltet, wer zum Beispiel nicht weiss, wer Diego Rivera und Frida Kahlo sind, wird mit ihrem Auftauchen wenig anfangen können – muss aber auch nicht.

Die wichtigsten Eckpunkte und Daten zu Eisensetein und insbesondere die Verbindungen zu seinen eigenen Filmen werden alle ganz klar gemacht. Und dort, wo Greenaway zitiert, spielt es keine Rolle, wenn man die Zitate nicht erkennt.

Aber natürlich macht eine stehende Löwenstatue mehr Spass, wenn man sie mit Panzerkreuzer Potemkin in Verbindung bringt. Und natürlich ist der Zwicker, der immer wieder zerschmettert wird, auch ein Bild aus dem gleichen Film. Dagegen wird das rhythmische Schlagen mit einem Schraubenschlüssel gegen einen Heizungskörper am Ende des Film ganz wörtlich erklärt.

Peter Greenaway ist eher unerwartet noch einmal ein meisterlicher Film gelungen, der wohl einige der alten Fans seiner frühen Werke wieder für ihn einnehmen wird (auch mich) und all seine schon bisher unerschütterlichen Apologeten zu einem lachenden „ich hab’s immer gesagt“ berechtigt.

Ein Berliner Bär wäre angemessen.

Peter Greenaway
Peter Greenaway

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