Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass Gus van Sant Peter Liechtis The Sound of Insects gesehen hat. Jedenfalls wirkt sein Film wie eine für Disney oder Spielberg aufgepeppte und amerikanisierte Version davon: Das Wesentliche ist auf poetische Schlagworte reduziert, die dramatischen Momente auf maximalen Einschlag zugespitzt.
Matthew McConaughey spielt den Amerikaner Arthur Brennan, zu Beginn des Films stellt er sein Auto am Flughafen ab, lässt den Schlüssel stecken, das Parkingticket auf dem Sitz liegen und checkt ohne Gepäck ein auf einen Flug nach Tokyo. Sein Ziel ist der Aokihagara, jener Wald am Fusse des Fujiama, der einerseits ein geschlossenes Naturreservat ist, andererseits aber seit den sechziger Jahren und einigen literarischen Aufarbeitungen auch ein beliebtes Ziel für suizidale Menschen.
Der Wald wird seinem Namen «Meer aus Bäumen» gerecht und Kameramann Kasper Tuxen weiss mit überfliegenden und eintauchenden Aufnahmen auch einiges damit anzufangen. Überhaupt ist der Anfang des Films wirklich stark. Wenn Brennan am Waldrand aus dem Taxi steigt, trifft er schon auf die ersten Schilder, welche potentielle Selbstöter von ihrem Vorhaben abbringen wollen. Später sind es bunte Bänder, welche einige ausgespannt haben, um allenfalls den Rückweg wieder zu finden. Und bald schon trifft er auch auf die erste Leiche. Und dann auf Ken Watanabe, der mit falsch aufgeschnittenen Handgelenken durch die Bäume stolpert und den Weg hinaus sucht.
Und so wird die Suche nach dem Tod bald schon zum Kampf ums Überleben. Die Begegnung der beiden Männer ist eindrücklich und gebiert auch immer wieder witzige Momente. So erzählt der Japaner dem Amerikaner auf die Frage, warum er denn habe sterben wollen: Weil er aufgrund eines Fehlers im Betrieb zum Phantom geworden sei, zum Copyboy, degradiert. Und so könne er seine Familie nicht mehr unterstützen. «Und darum wolltest Du sterben?» – «Du verstehst unsere Kultur nicht.»
Aber gleichzeitig kommen die ersten Rückblenden in das Leben von Walter mit seiner Frau Joan (Naomi Watts) und damit verkommt der Film dann zum Rührstück mit mehrfacher und dennoch absehbarer dramatischer Retardation. Das ist schade, denn wäre Gus van Sant wirklich im Wald geblieben mit seinen zwei Figuren (was er beispielweise mit Gerry seinerzeit getan hat, wenn auch in der Wüste), hätte The Sea of Trees etliches Potential gehabt. Nun ist die Geschichte allzu leicht zu reduzieren auf den Amerikaner, der im Wald des Todes ausharrt und schliesslich überlebt. Immerhin redet er nicht mit einem Volleyball.
Die Schauspieler werden ihren Rollen gerecht, McConaughey trägt in allen Szenen, Ken Watanabe hat genügend Charisma um auch halbtot noch zu überzeugen und Naomi Watts dürfte die Rolle der frustrierten Ehefrau nicht allzu schwer gefallen sein: Sie kann definitiv mehr.
Was vor allem in Erinnerung bleibt, sind die Bilder vom Wald und im Wald. Der Schnitt des Schweizer Cutters Pietro Scaglia ist diskret – für das aufdringliche und absehbare Rückblendenkonzept ist er wohl nicht verantwortlich.
Peter Liechtis The Sound of Insects war ausgesprochen radikales Kunstkino und damit ganz klar kein Strassenfeger. Gus van Sants The Sea of Trees versucht sehr angestrengt beides, ergibt sich aber allzu leicht plakativer Metaphorik und aufdringlicher Poesie. Das macht ihn für ein allgemeines Publikum viel zugänglicher und vielleicht auch attraktiv. Auf jeden Fall wird er dem Aokigahara mehr internationalen Zulauf bescheren.