Mit La Grande Bellezza hat Paolo Sorrentino seine unausgesprochene Ambition erfüllt, das Erbe Fellinis anzutreten. Und nun hat er auf seine sehr eigenständige Art eine Alters-Variation auf 8½ produziert, opulent, ironisch, melancholisch und in manchen Momenten fast schon selbstparodistisch.
Michael Caine hat die Rolle, welche sonst bei Sorrentino Tony Servillo spielt – wäre der nicht einfach noch zu jung dafür. Und die Rolle, die bei Fellini natürlich Marcello Mastroianni gehörte. Der von Caine gespielte achtzigjährige Komponist und Dirigent Fred Ballinger hat sogar seine eigene Variante von Mastroiannis gemurmeltem «Smic-Smac»: Bei Bedarf zieht er ein leeres Bonbon-Papier aus der Tasche und ratscht damit rhythmisch und vernehmlich.
Vor allem aber sitzt er abgeklärt und ein wenig traurig in einem Bündner Luxushotel. Er ist hier im Urlaub von der Altersroutine, mit seiner Tochter und Assisstentin Lena (Rachel Weisz) und seinem alten Freund Mick (Harvey Keitel), einem amerikanischen Filmemacher.
Der ist schon wieder an einem Filmprojekt, arbeitet mit einer Gruppe junger Drehbuchassistenten am Schluss des Films, der sein Testament sein soll. Ballinger dagegen schickt sogar den Emmissär der Queen nach Hause und weigert sich, zu Ehren von Prince Philip ein letztes Mal seine Orchestersuite «Simple Songs» zu dirigieren.
Fred und Mick sind wie eine liebenswürdige Version von Statler und Waldorf aus der Muppet Show. Sie hängen an diesem wunderschönen Luxusort herum, erzählen sich gegenseitig nur die guten Dinge (wie Mick immer wieder betont) und lassen Episoden aus dem Leben wieder aufleben. Vor allem aber kommen sie immer wieder zu niederschmetternden Erkenntnissen. Mick betont zum Beispiel, dass er sich an immer weniger aus seinem Leben erinnern kann.
Und Fred muss sich von seiner ansonsten sehr liebevollen Tochter in einem schwachen Moment die Vorwürfe eines ganzen Lebens anhören. Sie ist gerade ziemlich am Ende, weil sie von Micks Sohn, ihrem langjährigen Ehemann für ein Popsternchen (Paloma Faith) verlassen wurde.
Der Film hat eine doppel- manchmal gar trippelbödige Ironie. Als Lena zum Beispiel von ihrem Vater erfährt, dass Mick seinem Sohn eine Begründung entlockt habe, warum er seine schöne Frau für diese ziemlich ordinäre Sängerin verlassen habe, lässt sie nicht locker, bis er ihr die Begründung innerlich händeringend weitergibt: Weil die gut sei im Bett. Bloss, um im gleichen Moment den Vater anzufahren das hätte er ihr nun wirklich nicht sagen müssen.
In die gleiche Kategorie gehört das Witzeln der beiden Alten über ihre Prostata und das Unvermögen, richtig zu pissen. Zumal sich am Ende des Films beim Check-Up herausstellt, dass Fred gesund ist wie ein Pferd und auch mit der Prostata keine Probleme hat. Offensichtlich witzelt er dem alten Freund zuliebe mit. Wie auch in der Apotheke, wo er angesichts der dutzenden von Schachteln, welche Mick auf die Theke beigt noch ein Päckchen Pflaster dazulegt – weil er selber eben gar nichts braucht.
Aber das ist bloss die inhaltlich dialogische Ebene. Sein wahres Leben entfaltet der Film visuell. Da jagt ein Einfall den nächsten, eine komische Einstellung die nächste. In einer Art Alptraum versinkt Fred im nächtlichen Markusplatz, in einer anderen Szene sitzt er am Waldrand an einer Alpweide und beginnt langsam die Natur zu dirigieren: Kuhglocken, Wind, Blätterrauschen und schliesslich ein klatschendes Crescendo, als genau auf seine Armbewegung ein Schwarm Vögel aus dem Wald auffliegt.
Das sind Glücksmomente, wie sie das zeitgenössische Kino leider viel zu selten bereithält. Virtuose Inszenierungen voller Selbstbewusstsein und surrealer Magie, eigentliche Inszenierungen der Welt. Und darin ist dieser Film so reich wie kaum ein anderer der letzten Jahre. Selbstverliebt mag es sein, dieses Kino des Paolo Sorrentino, federleicht und melancholisch auf einer leicht zu erreichenden Ebene. Aber visuell von einer Kraft und einem Einfallsreichtum die Lust auf mehr mehr. Oder ein weiteres Screening vom gleichen, gerne auch ein drittes und ein viertes.
Und damit ist noch nichts gesagt über den furchterregend tragikomischen Auftritt von Jane Fonda, die Rolle von Paul Dano als frühzeitig ironiegesäuertem Jungschauspieler oder der Maradona-ähnlichen Groteskfigur, welche im gleichen Sanatorium ihrer eigenen Jugend nachtrauert.