Cannes 15: DHEEPAN von Jacques Audiard

'Dheepan' von Jacques Audiard: Antonythasan Jesuthasan
‚Dheepan‘ von Jacques Audiard: Antonythasan Jesuthasan

Um aus Sri Lanka und seinem blutigen Bürgerkrieg wegzukommen, gibt sich ein ehemaliger Soldat der Tamil Tigers zusammen mit einer jungen Frau und einem neunjährigen Mädchen als Familie aus. So gelingt ihnen die Flucht nach Frankreich.

Hier schlägt er sich erst einmal als illegaler Strassenverkäufer durch, bis die Flüchtlings-Familie einen Hauswartsjob in einem heruntergekommenen Sozialwohnungsblock in Pré, einem Vorort von Paris, zugeteilt bekommt. In einem Block notabene, der sich später als Hauptquartier der lokalen Drogengang entpuppen wird. Der ehemalige Soldat, der dem Krieg entfliehen wollte, findet sich schon wieder an der Front.

'Dheepan' von Jacques Audiard
‚Dheepan‘ von Jacques Audiard

Jacques Audiard hat ein Gespür für die soziale Realität. Sein Gefängnisfilm Un prophète von 2009 war Gangster-Drama und Sozialstudie zugleich (und machte Tahar Rahim zu einem Filmstar). Und selbst sein ungebremstes Melodram De rouille et d’os, mit dem er 2012 in Cannes war, schaffte den Spagat, zwischen einer beinamputierten Marion Cotillard, einem Killerwal und dem von Matthias Schoenaerts gespielten Underdog so viel sozialen Realismus unterzubringen, dass man den Wahnsinn mit Methode einfach goutieren musste.

'Dheepan': Lalieaswari Srinivasan
‚Dheepan‘: Lalieaswari Srinivasan

Irgendwie scheint Audiard sich nicht entscheiden zu müssen zwischen gewaltigem Kino und dokumentarischer Ernsthaftigkeit. Man kennt das Prinzip aus den besten amerikanischen Filmen. Aber denen kommt immer noch der amerikanische Mythos zu Hilfe, sei es jener des Western, des Gangsters oder der Mafia. Audiard dagegen filmt sich aus der französischen Realität heraus in ein Echo dieser Mythen hinein.

Wenn der ehemalige Soldat Dheepan nach Monaten als fleissiger Hauswart plötzlich rambomässig in den Bandenkrieg eingreift, dann ist das einerseits plausibel, schliesslich hat er – im Gegensatz zu den meisten der bandenkriegenden Banlieue-Kids  – tatsächliche Kriegserfahrung, andererseit auch filmisch plötzlich überhöht, surreal, bigger than life.

Lalieaswari Srinivasan,  Antonythasan Jesuthasan
Lalieaswari Srinivasan, Antonythasan Jesuthasan

Das funktioniert darum so gut, weil Audiard sich und seinen Laiendarstellern die Zeit gönnt, einen Alltag aufzubauen. Wie der Mann und die beiden Frauen langsam zu der Familie werden, die sie zunächst nur darstellen wollten, wie sie sich bei Rückschlägen gegenseitig daran erinnern, dass sie eine Fiktion leben, und wie der fremde Blick auf Frankreich und seine Gewohnheiten plötzlich auch uns einen anderen aufgehen lässt: Das ist grossartig.

Eine Palme für Audiard würde ich nicht ausschliessen. Den grossen Jurypreis von Cannes hat er ja 2009 für Un prophète schon gewonnen.

Jacques Audiard
Jacques Audiard

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