Locarno 15: MA DAR BEHESHT (Paradise) von Sina Ataeian Dena (Wettbewerb)

Ma dar Behesht 3

Der Titel dieses Films ist ziemlich sarkastisch, der Iran, in dem die junge Hanieh als Primarlehrerin arbeitet, ist alles andere als ein Paradies. Schon gar nicht für die Frauen und Mädchen, um deren Alltag sich der Film bemüht.

Schon auf der Tonspur zum dunklen Vorspann hören wir, wie eine andere Frau Hanieh zu ihren Kenntnissen der Schicklichkeit und Kleidervorschriften befragt, zu Niqab und Länge der Gewänder. Von den wenigen Männern, die auftauchen, bekommen nur zwei ein Gesicht, Haniehs liebenswerter Freund, und ein sehr charmanter älterer Herr, der die junge Frau ernst nimmt.Ma dar Behesht 4

Der Rest ist System, Erziehung, Ayatollah-Bilder in Amtsräumen, Fussballverbot für die Schulmädchen und eine staatliche Planwirtschaft, die Hanieh die erwünschte Versetzung an eine Schule in Teheran, wo sie lebt, die längste Zeit bürokratisch verweigert.

Ma dar Behesht Dorna Dibaj

Es ist ein gezielt deprimierendes Bild aus einer Religionsdiktatur. Wären da nicht die Momente, in denen die Lebensfreude der Schulmädchen bei einem Popsong oder beim frenetischen Treten eines verirrten Fussballes aufblitzen: Man müsste heulen.

Im Abspann von Jafar Panahis Taxi gab es keine langen Namenslisten. Wie die Drehbücher müssen im Iran auch die Credits der Zensurbehörde vorgelegt werden, um die Erlaubnis zum Filmen zu bekommen. Panahi hatte nicht nur ohne Erlaubnis drehen müssen, er musste vor allem auch seine Protagonisten schützen.

Ma dar Behesht 2

Der Abspann von Paradise beginnt mit dem Hinweis, der Film sei ohne Erlaubnis gedreht worden, und mit einer Entschuldigung an all die Protagonisten, die ohne ihr Wissen gefilmt worden seien. Damit können Menschen im Hintergrund gemeint sein. Aber natürlich auch sämtliche Schauspielerinnen, indem die Fiktion erschaffen wird, auch die hätten nicht gewusst, dass gefilmt wurde. So oder so ist der Hinweis ein Spiel mit der Zensur, von dem bei uns kaum jemand entscheiden kann, wie ernst und gefährlich das allenfalls sein dürfte. Und wie viel davon Marketing ist für ein westliches (Festival-) Publikum.

Was der Abspann auch klar macht: Der Film ist mit viel Unterstützung aus Deutschland zustande gekommen. Gemäss dem Katalog des Filmfestivals von Locarno hat Regisseur Sina Ataeian Dena in Teheran Physik und Film studiert, Videogames mit entwickelt und erfolgreich als Auftragsfilmer gearbeitet. Paradise soll der erste Teil einer Trilogie über Gewalt in Teheran sein.

Die Gewalt in diesem Film ist auf den ersten Blick abwesend. Sie besteht einerseits in der staatlichen Erziehungs- und Kontrollgewalt, die allgegenwärtig ist im Leben der Schülerinnen, aber auch der Lehrerinnen. Und anderseits im Fehlen jener zwei Mädchen aus Haniehs Klasse, die auf dem Schulweg verschwunden sind. Ob es schliesslich drei sein werden, lässt der Film ebenfalls offen. Denn am Ende merkt eines der Mädchen beim Warten auf den Schulbus, dass seine Fingernägel verbotenerweise noch lackiert sind. Sie rennt nach Hause, um den Lack zu entfernen, verpasst den Bus und wird von einem Motorradfahrer mitgenommen. Vielleicht will er ihr helfen, rechtzeitig zur Schule zu kommen. Wir erfahren es nicht, denn das Motorrad fährt in einen Tunnel und die Dunkelheit geht in den Abspann über.

Regisseur Sina Ataeian Dena
Regisseur Sina Ataeian Dena

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