Venedig 15: EVEREST von Baltasar Kormákur

Jake Gyllenhall als Scott-Fischer in 'Everest' © Universal
Jake Gyllenhall als Scott-Fischer in ‚Everest‘ © Universal

Es gibt wohl keinen dramatischeren Berg der Welt, als den Mount Everest: der isländische Regisseur Baltasar Kormákur hat ihn in seinem Multistar-Drama «Everest» zum Hauptprotagonisten gemacht. Er ist der eigentliche Star in diesem Bergsteigerdrama, das die wahre Geschichte einer gründlich missglückten Expedition von 1996 als Grundlage hat.

In 3D gedreht bringt der Film auch den Zuschauern die Faszination und Sogwirkung dieses Kolosses im Himalaya näher, wenn die Kamera zu Beginn die Expeditionsgruppe auf ihrem Weg zum Basislager begleitet, durch Täler fliegt, über Hängebrücken schwebt, um schliesslich den majestätischen Berg hinter dem riesigen Basislager zu zeigen. Da versteht man auch im Kino, warum dieser Everest eine dermassen grosse Anziehungskraft hat.

Dann aber ist fertig mit Expeditionsidylle – Regisseur Kormákur zeigt in erstaunlich unsentimentaler Manier den Wahnsinn am höchsten Berg der Welt. Es ist 1996 und der Everest ist längstens Garant für höchst lukrative Geschäfte geworden: Mehrere professionelle Unternehmen bringen zahlungswillige Touristen auf den Gipfel, manchmal wollen drei und mehr Seilschaften am gleichen Tag hoch.

Noch sind sie unten. Und am Leben. © Universal
Noch sind sie unten. Und am Leben. © Universal

Everest ist die Geschichte der zwei Bergführer Rob Hall (Jason Clarke) von Adventure Consultants und Scott Fischer (Jake Gyllenhall) von Mountain Madness, die sich 1996 zusammen schlossen, um ihre Gruppen auf den Gipfel zu bringen und deren Expedition in der Katastrophe endete.

Jason Clark als Rob Hall in 'Everest' © Universal
Jason Clark als Rob Hall in ‚Everest‘ © Universal

Es gibt mehrere Bücher über diese Expedition – Baltasar Kormákur erzählt denn auch nicht eins davon nach, sondern hat gründlich recherchiert, um, wie er an der Pressekonferenz sagte, «möglichst viele Perspektiven auf das Drama zu werfen». Und so steht auch keine der Figuren dominant im Zentrum des Films, auch Star Jake Gyllenhall nicht (und schon gar nicht die beiden Schauspielerinnen Keira Knightley und Robin Wright, die als zuhause gebliebene Frauen sehr undankbare Rollen haben in diesem Drama). Hauptdarsteller ist sowieso der unerbittliche Everest, der die Menschen manchmal wie Ameisen abwirft und sie dann nicht mehr her gibt. Das ist grosses Bergkino, unglaublich dramatisch und spannend, nie aber beherrscht von zu viel hollywoodscher Dramatik.

'Everest' von Baltasar Kormákur © Universal
‚Everest‘ von Baltasar Kormákur © Universal

Kormákur zeigt seine Figuren als sympathische, aber auch ehrgeizige Bergsteiger, kollegial zwar, aber auch egoistisch auf ihr ganz persönliches Gipfelziel fixiert, jeder für sich. Der mitkletternde Journalist John Krakauer (sein Buch «In eisigen Höhen» ist eine Quellen) fragt einmal in die Runde: «Warum macht ihr das? » Und da bleibt es erst einmal still. So richtig kann keiner diese Lust, sich der Gefahr und dem Leiden in grosser Höhe auszusetzen, erklären. Aber sie gehen dafür sprichwörtlich über Leichen: Bei einem Übungsaufstieg geht die ganze Gruppe fast achtlos an einem halb eingeschneiten Toten vorbei. In dieser kurzen Szene entlarvt der Film ein erstes Mal den ganzen egoistischen Wahnsinn, der sich abspielt am Berg, wo wegen zu grosser Höhe nicht einmal die Toten per Helikopter geborgen werden können und so einfach liegen bleiben. Der Berg als riesiger Friedhof für mittlerweile rund 300 Tote, abgestürzt, an Höhenkrankheit oder sonstigen gesundheitlichen Beschwerden gestorbenen. Am Ende des Films Everest werden es ein paar mehr sein.

Lilja Palmadottir und Baltasar Kormákur bei der Premiere in Venedig © Universal
Lilja Palmadottir und Baltasar Kormákur bei der Premiere in Venedig © Universal

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