Venedig 15: THE ENDLESS RIVER von Oliver Hermanus

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Der südafrikanische Film The Endless River ist eine überaus erfreuliche Entdeckung im Wettbewerb von Venedig. Grossartige Landschaftsaufnahmen, eine aus der Zeit gefallene Kleinstadt, hervorragende Darsteller und eine Geschichte um Verlust, Schuld, Verlorenheit und Zweisamkeit. Der Titel The Endless River ist der Name einer südafrikanischen Kleinstadt – Regisseur Oliver Hermanus kennt diese Stadt und erzählt, wie er immer mal eine Geschichte von dort erzählen wollte – nicht nur wegen des poetischen und etwas schrägen Namens, wie er sagt, sondern weil dies eine Gegend sei, in der soziale Gräben tief seien, die Apartheid noch lebendig und die Politik schwierig. Und an solchen Orten sucht der junge Regisseur seine Geschichten.

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In The Endless River geht es um den zugewanderten Franzosen Gilles, der seine Frau und seine beiden Söhne durch einen grausamen Mord verliert. Und um die schwarze Südafrikanerin Tiny, deren kleinkrimineller Mann Percy nach vier Jahren frisch aus dem Gefängnis zurück kommt – und der natürlich sofort im Verdacht steht, diesen Mord begangen zu haben. Vom Publikum, aber auch vom örtlichen Polizeichef, der diese Indiskretion an Gilles weiter gibt. Dann ist Percy plötzlich auch tot – und die beiden verletzten Seelen klammern sich Trost und Vergessen suchend aneinander. Sie beschliessen, gemeinsam zu verreisen, der französische Einwanderer und die schwarze Südafrikanerin, die so gar nichts gemeinsam haben, eigentlich.

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Das habe ihn am meisten interessiert, erzählt Hermanus im Gespräch, diese beiden so unterschiedlichen Charaktere aufeinander reagieren zu lassen, von einer Freundschaft zu sprechen, die eigentlich nur durch beidseitigen Verlust entsteht. Eine Beziehung über diese Rassengrenzen hinweg, die immer noch so gross sind in gewissen Gebieten Südafrikas.

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Der Film kontrastiert grossartige Landschaftsbilder (Hermanus war früher Fotograf und sein Kameramann ein Wild Life-Spezialist) mit Nahaufnahmen der Menschen und ihrer Kleinstadt. Alles scheint irgendwie aus der Zeit gefallen zu sein, alles ist alt, die Autos, die Möbel, sogar die Kleider der Menschen. Erst als das erste Handy auftaucht, ist klar, dass dieser Film im Jetzt spielt. Aber auch das Handy ist schon alt.

An der Ausstattung habe er gar nichts ändern müssen – so sei das tatsächlich da in dieser Stadt, es gebe nichts Modernes dort, bis auf diese wenigen Handys. Und so wenig wie Häuser, Möbel und Autos modern seien, so wenig seien es die Menschen: immer noch erstarrt in ihren sozialen Grenzen, Rassentrennung gilt immer noch, örtliche Behörden und Politiker tun nichts, um das zu ändern, auf allen Seiten nicht. Hermanus spricht davon, dass es leider immer noch „Bürger zweiter Klasse“ gebe in Südafrika, auch jetzt noch, nach über 20 Jahren Demokratie im Land.

Die Zersplitterung der Bevölkerung (es gibt elf Landessprachen) spüre man auch in der Filmindustrie, erzählt der junge Regisseur und Autor. Ein nationales Filmschaffen sei fast nicht möglich, und so gelange auch selten ein Film aus Südafrika in die restliche Welt. Zu unterschiedliche seien die Bedürfnisse der einzelnen Gruppen, jede Ethnie, jede Bevölkerungsgruppe wolle ihre eigenen Kulturprodukte haben. Es gibt eine rege Afrikaans-Filmindustrie, aber das seien reine Unterhaltungsfilme. Generell wolle niemand in Südafrika die eigenen Probleme auch noch im Kino sehen, sagt Hermanus. Und so fühle er sich manchmal ziemlich allein mit dem Bedürfnis, diese Geschichten zu erzählen. Dank vielen Stipendien und internationalen Koproduzenten hat es Hermanus auf die grosse internationale Filmbühne geschafft. Er selber dachte zwar bei der Einladung in den Wettbewerb von Venedig, die Auswahlkommission hätte einen Fehler gemacht – er fühle sich auf jeden Fall etwas fehl am Platz. Diese Einschätzung teilen wir nicht, der starke Film hat seinen berechtigten Platz im Rennen um den Goldenen Löwen am Filmfestival von Venedig.

Regisseur Oliver Hermanus
Regisseur Oliver Hermanus

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