In der Schweiz war der Dokumentation von Angelo Lüdin kein grosser Kinoerfolg beschieden. Das liegt allerdings eher daran, dass das mediale Spektakel um das künstlerische «System Hirschhorn» schon wieder durch war, als der Film herauskam.
Zuviel Hirschhorn auf einmal ist schwer verdaulich. Zu dem Schluss kann man auch kommen, wenn man sich diesen sorgfältig gemachten, von Pio Corradi einmal mehr hervorragend gefilmten und letztlich auch seinem Sujet abgekämpften Film gesehen hat.
Angelo Lüdin wollte die Entstehung des Hirschhornschen «Gramsci Monument» in der Bronx dokumentieren, aber weder als Diener des Meisters, noch einfach im Dienste von dessen Kunst. Das hat sich als anstrengend erwiesen, aber auch als erhellend. Weil Lüdin sich konsequent auf Aufbau und Abbau beschränkt; den eigentlichen Betrieb dieses zentralkonzipierten temporären Ghetto-Kulturzentrums streift er nur mit ein paar stellvertretenden Szenen.
Eigentlich ist Hirschhorns Kunstprojekt einmal mehr eine brillante Mischung aus Kunstmarktsurfen und radikaler Subversion. Das Geld einer New Yorker Institution steckt er nicht in eine schicke Galerie, er vermehrt es nicht auch über die heisslaufenden Kunsthypebörsen, sondern er schafft damit zunächst einmal einfach medienwirksam Arbeitsplätze in einem sogenannten «Project» in der Bronx, in einem Sozialwohnungsquartier.
Das erinnert ein wenig an das präsidiale Propaganda-Projekt, das Kevin Spacey mit «America Works» in der dritten Staffel der Präsidialsatire House of Cards aufzieht. Mit dem Unterschied, dass es Hirschhorn offensichtlich ernst ist mit seinem Konzept.
Das zeigt sich in einer der Schlüsselszenen in Angelo Lüdins Dokumentarfilm. Der Abbau der temporären, brettergezimmerten Volksuniversität mit Radiostation, Theater, Bar, Bibliothek etc. steht bevor und Boss Thomas Hirschhorn verspricht seinem aus arbeitslosen Anwohnern zusammengestellen Bau-Team, dass er jedem einzelnen von ihnen eine Empfehlung schreiben werde, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.
Ganz abgesehen davon, dass das gelinde gesagt utopisch klingt angesichts der Dauererbeitslosigkeit in der Gegend, tut sich ein ganz anderes Problem auf. Der Mann, der das Team beaufsichtig und organisiert hat, weigert sich, jedem von ihnen pauschal eine Empfehlung auszustellen. Von Anfang an seien einige nur gekommen, um das Geld abzuholen, hätten gar nie gearbeitet. Das gehe nicht in den USA, wer nicht arbeitet, verdient nichts. Und da stimmen alle Anwesenden zu – ausser Thomas Hirschhorn. Der hat nämlich, in seiner konsequenten Auslegung der maxistischen Philosophie seines nominalen Helden Antonio Gramsci verfügt, dass alle angestellten Arbeiter ihren Lohn erhalten sollen, egal, ob sie auftauchen oder nicht.
Die darauf folgende kurze Diskussion wirft ein gutes Licht auf die Arbeitsweise von Hirschhorn, denn zumindest eine der Frauen hinterfragt dann auch plötzlich die einfache Logik von Lohn für Arbeit ohne jegliche Risikopartizipation des Arbeitgebers.
Deutlich früher im Film gibt es allerdings eine ähnlich erhellende Episode, in der sich ein junger Mann darüber empört, dass ihn Hirschhorn aufgefordert habe, sein Telefonat zu beenden und zu arbeiten, das Projekt sei viel wichtiger als jedes private Gespräch – dabei, so der Junge, habe er ja bloss versucht ein Problem mit seinem Bankkonto innerhalb der Bürozeiten zu lösen.
In drei verschiedenen Szenen äusserst sich Hirschhorn zu seiner Vorstellung von Kunst. Einmal erklärt er seine Unabhängigkeit von äusseren Definitionen und Begriffen. Weder «partizipative Kunst» noch Aktionskunst oder ähnliches seien seine Begriffe, insofern fühle er sich auch nicht verpflichtet, sich mit solchen Konzepten der Kritik zu beschäftigen. Er schaffe seine eigenen Begriffe und halte sich an diese.
In einer späteren Art Lesson für angehende junge Künstler wirft er dann ein etwas wirres Licht auf seine Vorstellung der Bedingungen für ein Kunstwerk, das sich unter anderem an seiner Energie und seiner Absicht messen lassen solle.
Und schliesslich reagiert auf die (im Film nicht zu hörende) Frage des Filmemacher, ob ihn mit dem Ende des Projekts nach elf Wochen und dem Abbau nicht eine gewisse Emotionalität überkomme mit einem fast schon absurden Freestyle-Argument, dass er als «Soldat der Kunst» keine Emotionen brauche, sondern bloss hundertprozentigen Einsatz und Überzeugung.
Überhaupt sind es diese Ad-Lib Momente von Hirschhorn, seine Ausbrüche, die er mit theatralischen Gesten und Satzwiederholungen zu inszenieren weiss, welche dem Film von Angelo Lüdin seine stärksten Momente geben. Denn da kommt die manische Energie des Künstlers ungeschminkt zum Vorschein, die despotische Ausrichtung auf sein Projekt, welche er im Alltag allerdings erstaunlich gut im Griff zu haben scheint: Er ist tatsächlich die Mitte und die Kraft und das Zentrum des Projektes, dauernd präsent und immer provokativ umdenkend im Dialog.
Thomas Hirschhorn – Gramsci Monument erzählt subkutan auch von den Schwierigkeiten seiner eigenen Entstehung, wie jeder gute Dokumentarfilm. Und nicht zuletzt darum wird das ein bleibendes Dokument sein in der Geschichte der zeitgenössischen Kunst, aber auch im Hinblick auf das teppichbandverklebte Oeuvre von Thomas Hirschhorn, gerade auch wegen dessen (nicht offen deklarierter) Enttäuschung über den Film.
Angelo Lüdin meint, die zwei älteren Damen aus den Sozialblöcken, welche jeden Tag anwesend waren und letztlich mit ihrer Präsenz und Neugier das Publikum von Hirschhorns Intervention vertreten, hätten seinen Film gerettet. Das mag aus dramaturgischer Sicht zutreffen. Aber letztlich rettet sich der Film selber, indem er unabhängig bleibt, die Widerstände und Widersprüche mitnimmt.
Ganz abgesehen davon, dass die Geschichte von Hirschhorns «Gramsci Monument» von keinem Kunstkritiker und keinem Theoretiker dermassen unmittelbar und – ja, auch: unterhaltsam hätte festgehalten werden können.