In einem abgelegenen Tal auf Island leben die Menschen seit Generationen hauptsächlich von der Schafzucht. Und den jährlichen Wettkampf um den schönsten Schafbock hat gerade Kristin Bólvarson, genannt Kiddi, gewonnen. Sehr zum Ärger seines Bruders und Konkurrenten Gummi.
Die Brüder haben ihre Schaffarmen nebeneinander auf dem geerbten Land. Aber sie reden seit Jahren nicht mehr miteinander. Und das sei nicht ungewöhnlich im ländlichen Island, sagt Regisseur Hákonarson, es habe mit der Kleinheit der Gemeinden und der Isoliertheit der Menschen zu tun.
Auf ganz Island wohnen bloss etwa 320’000 Menschen und in einem Tal, wie jenem in dem der Film spielt, besteht eine Gemeinde aus weniger als fünfzig Menschen, die sich natürlich alle über Generationen kennen. Eine Frau zu finden ist da nicht einfach für einen jungen Schafzüchter. Und eine Familienfehde schwer beizulegen, wenn niemand mehr da ist, der vermitteln könnte.
Zum eingespielten Familiendrama der beiden Brüder, die nicht mehr miteinander sprechen, kommt nun allerdings eines, das die ganze Gemeinde betrifft: Unter den Schafen bricht die Traberkrankheit aus. Der gesamte Schafbestand des Tals muss getötet und verbrannt werden. Während sich der eine Bruder an die Verordnung des Veterinäramtes hält, weigert sich der andere, seine Schafe aufzugeben.
Der Film spielt im heutigen Island, ohne Nostalgie, dafür mit viel trockenem Drama, aber auch mit feinem Humor.
So kommunizieren die zerstrittenen Brüder wenn es gar nicht anders geht, über knappe Briefe, die Kiddis treuer Hirtenhund zwischen den beiden Häusern hin- und herträgt. Das sei im Übrigen die einzige reine Erfindung in seinem Drehbuch, sagt Regisseur Hákonarson. Alles andere beruhe auf der Kombination tatsächlicher Begebenheiten.
Getragen wird der Film von zwei grossartigen Bühnenschauspielern: Theodór Júlíusson und Sigurður Sigurjónsson und natürlich von den Schafen, mit denen vor Drehbeginn drei Tage lang geprobt wurde.
Der eine Darsteller sei vor allem bekannt als Standup-Comedian, der andere von der klassischen Bühne und über Fernseharbeit. Vom Spielen im Film könne in Island niemand leben, dafür entstünden viel zu wenige Spielfilme, sagt der Regisseur.
Wie die Schweiz hat auch Island einen Heimmarkt, der nicht einmal mit erfolgreichen Filmen kostendeckend funktionieren kann. Die Leute gingen zwar gerne ins Kino, aber neben zwei Multiplexen in Reykjavik gebe es bloss noch wenige Kinos auf dem Land, welche regelmässig Filme zeigen, sagt Hákonarson. Das heisst, wie auch in der Schweiz, sind Filme nur als Koproduktionen mit anderen Ländern zu finanzieren. Im Falle von Hrútar kamen Teile des Budgets aus Dänemark, Polen und Norwegen. Das ist übrigens auch der Grund dafür, dass der Norweger Sturla Brandth Grøvlen die zurückhaltende, aber gloriose Kamera geführt hat. Der Mann, der den doppelten Parforce-Parcours des deutschen Single-Shot-Films Victoria gemeistert hat.
Nicht nur das Spiel der Darsteller, sondern auch das ganze alltäglich-absurde Drama ist überzeugend. Hrutàr ist ein realistischer ländlicher Film im Hier und Jetzt, eine menschliche, sehr lokale Tragikomödie mit internationaler Ausstrahlung – ein überaus exportfähiger Film also, aus einem sehr eigenwilligen Land. Und damit ein Film, der — rein theoretisch — auch in der Schweiz hätte entstehen können.