Vor drei Jahren hat der Kanadier Denis Coté der Berlinale einen wirklich hübschen Bären aufgebunden mit Vic + Flo ont vu un ours. Das war skurril, bisweilen bösartig, vor allem aber stimmig.
Böse ist auch Boris sans Béatrice, skurril eher weniger und stimmig nur hin und wieder. Der Film ist ein One Trick Pony, eine jener Geschichten, die immer wieder auf sich selber zurückkommen.
Boris ist elegant, erfolgreich, reich und stolz. Er weiss, was es braucht, und wo er steht im Leben. Sein Landhaus steht auf dem Hügel im Wald, seine Frau ist Ministerin, seine Hemden sind exquisit.
Die Verkäuferin, die es gewagt hat, seine Amex-Karte zurückzuweisen und ihn gar nach seiner Postleitzahl zu fragen, stellt er eiskalt in den Senkel. Seine Freundin hält er auf Distanz. Und die junge Russin, welche seine Frau pflegt, behandelt er dankbar, grosszügig und gönnerhaft.
Denn die kümmert sich um das erste echte Problem in Boris‘ Leben: Seine perfekte, geliebte Frau Béatrice ist nicht mehr ansprechbar. Sie ist versunken in eine tiefe Depression, zuweilen katatonisch.
Boris und sein Stolz sind gegen die Wand gelaufen, der Mann müsste sich hinterfragen. Denn die Figur, die jetzt ungebeten in sein Leben tritt, wesit ihm die Schuld zu am Zustand seiner Frau.
Dass Denis Lavant, Muserich bei Carax und ewiger Monsieur Merde, diesen namenlosen Ankläger spielt, ist einer der zwei ironischen Momente im ansonsten bitterernsten Boris-Drama. Der andere involviert ein schwules Paar, das eine Orestie aufführt in der Wohngemeinschaft mit Boris‘ Tochter. Kanadische Insider werten diese Szene als Seitenhieb auf Kino-Wunderkind Xavier Dolan.
Visuell ist Boris sans Béatrice ein Fest. Die Ausstattung allein ist dermassen exquisit, dass man von grosszügigen production values reden kann: Architektur, Kunst, Kunsthandwerk vom Feinsten. Und Denis Coté ist ein Meister im Erfinden starker visueller Effekte.
Schon am Anfang des Films starren sich Boris und ein bedrohlich nahe über dem Feld schwebender Helikopter gegenseitig an wie Duellisten. Später rast der Premierminister mit zwei Begleitkarossen den staubigen Feldweg zu Boris‘ Anwesen hoch. Und immer wieder gleitet der Blick über die majestätische Landschaft.
Aber auf der Dialogebene fällt der Film diesmal massiv ab. Einzelne Szenen flüchten sich in französische Bühnendeklamation, insbesondere Denis Lavant hat zu sprechen wie ein minderbegabter Cyrano de Bergerac. Und den Tiefpunkt erreicht Coté mit einem Streitgespräch zwischen Boris und seiner Tochter. Sie ist grün, revolutionär, staatskritisch. Er gibt den konservativen Kapitalisten. Und der ganze Austausch findet auf fast schon parodistisch plattem Niveau statt – aber ohne das geringste Ironiesignal.
Selbstzweifel erfolgreicher Männer gehören zur Midlife-Crisis. Mit 43 ist Denis Coté dafür eigentlich noch zu jung. Aber der Film insistiert: Boris hat eine nagende Stimme in sich gefunden. Sein Stolz ist zu gross. Er muss gebrochen werden. Er wird gebrochen werden. Er bricht.
Ah bon. Merci!
Es bleiben: Etliche Einstellungen mit Erinnerungswert, schauspielerische Glanzlichter, welche den Dialogen trotzen. Und die Frage, wo Denis Lavant das nächste Mal auftauchen wird:
(In der West-Schweiz war das, wie in Frankreich, Ende letztes Jahr im skurrilen neuen Film
21 nuits avec Pattie von Arnaud und Jean-Marie Larrieu, der leider in der Deutschweiz wohl nicht ins Kino kommen wird)